Mobilität und Kontrolle

Vorwort

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Helmut Qualtinger konnte seinerzeit noch die berühmte Tautologie des Mobilitätsfetischismus besingen: „I hab zwar ka Ahnung, wo i hinfohr, aber dafür bin i schneller durt.“ Mobilität ist mehr denn je ein zentrales Schlagwort der Zeit, doch der Begriff nimmt je nach Kontext eine sehr unterschiedliche Färbung an, die von der Überlebensstrategie des Einzelnen in deregulierten Arbeitsverhältnissen bis zur profitorientierten Standortverlagerung großer Konzerne reicht. Arbeitskräftebedarf hier, Arbeitslosigkeit dort: Wirtschaft fordert Mobilität der Arbeitskräfte, Politik fördert mit Mobilitätsprämien. Fachkräftemangel auf der einen Seite, Beschränkungen für „Ausländer“ auf der anderen: Wirtschaft fordert Öffnung der Arbeitsmärkte, Politik ist gespalten, tritt doch die Mobilität der einen in Konflikt zur Mobilität der anderen. „Unsere“ Unternehmen kaufen Südosteuropa, aber wir ziehen eine „österreichische Lösung“ vor, wenn es hier etwas zu verkaufen gibt. Wer oder was geht also unter welchen Bedingungen wohin und welche Agenten steuern diese Bewegungen?

Es ist längst nicht mehr der allgemeine Mobilitätsfetischismus, der ironisiert werden könnte wie einst, sondern das Zusammenspiel oder der Abgleich von Mobilität und Kontrolle rückt ins Zentrum. Mobilitätsmanagement heißt, aus diesen oder jenen Interessen erwünschte von unerwünschter Bewegung zu unterscheiden, wirtschaftliche, politische, ökologische Effekte zu verknüpfen und abzuwägen: von der kleinsten Einheit auf der Autobahn bis zur europäischen Wirtschafts- und Migrationspolitik.

Unser Herbstprogramm will im Bewusstsein der Uneinholbarkeit der Komplexität des Themas bestimmte Gesichtspunkte des Verhältnisses von Mobilität und Kontrolle künstlerisch und theoretisch beleuchten und dabei zumindest einige signifikante Widersprüche artikulieren, die sich aus den divergenten Interessen von Politik, Ökonomie, Wissenschaft und den Lebensverhältnissen von Einzelnen ergeben. Einen konkreten Ausgangspunkt dafür finden wir vor Ort in den diversen Forschungs- und Entwicklungsprogrammen der Firmen und Forschungseinrichtungen des Lakeside Park, die am technologischen Management von Mobilität (Verkehr) ebenso wie an der technologischen Kontrolle der Bewegung von Einzelnen (biometrische Chips für Reisepässe) beteiligt sind.

Die beiden Ausstellungen des Wintersemesters nehmen demgemäß auch konkreten Bezug auf Situationen vor Ort und thematisieren das Verhältnis von Individuum und Struktur bzw. Kontrolleuren und Kontrollierten. Ricardo Basbaum, diesjähriger documenta-Teilnehmer aus Brasilien, verkompliziert physisch-materiell den Zugang zum Kunstraum durch eine Art Schleuse, um die BesucherInnen dann im Inneren mit Aufnahmen unauffälliger Überwachungskameras zu konfrontieren. Diese werden von einem Sequenzer zu einem Zyklus wandernder Perspektiven zusammengesetzt. Der Künstler nennt das „System-Cinema:“ ein Echtzeit-Überwachungsfernsehen, das die Wahrnehmung des Raums steigert, während es gleichzeitig Bilder aufzeichnet und so dem Setting eine Reihe weiterer Bezugspunkte – diesmal technologischer Art – für das Verständnis der Umgebung hinzufügt. Mit dem Titel „Die Gesellschaft des Spektakels“, der Guy Debords berühmtem Buch entlehnt ist, spielt Basbaum auf die gegenwärtigen sozialen Verhältnisse an. Der Besucher ist in Basbaums Projekt aber nicht nur passiver Teil. Die Abkürzung „(& NBP)“, steht für sein 1994 gestartetes Projekt „Neue Basis für Persönlichkeit“ (Novas Bases para a Personalidade) und ein Aufzeigen möglicher neuer Formen sozialer Beziehungen.

„Would you like to participate in an artistic experience?“ ist ein weiterer Teil von Basbaums Langzeitprojekten. Das Objekt aus Stahl, ein Rechteck mit abgeschnittenen Ecken und einem kreisrunden Loch in der Mitte, zirkuliert in verschiedenen Zusammenhängen und bringt die Benützer zu den merkwürdigsten Verwendungen, die dokumentiert, archiviert und im Netz veröffentlicht sind. Diese Form ist das sofort wiedererkennbare und einprägsame Logo des Permutationsprozesses, den Ricardo Basbaum seit über einem Jahrzehnt propagiert.

Während Basbaum zunächst die Schwellen, Grenzen und Schranken sozialer und/oder geografischer Mobilität metaphorisch hervorstreicht, setzt die zweite Ausstellung von Iris Andraschek und Hubert Lobnig mit einer scheinbaren Affirmation des technologisch verstandenen Mobilitätsprinzips ein, um dessen ideologische Komponenten dann nach und nach abzutragen. Andraschek und Lobnig arbeiten mit einem mobilen Roboter, der von einer Forschungseinrichtung der Universität Klagenfurt im Lakeside Park entwickelt wird, und ge- oder missbrauchen diesen, um Widersprüche zwischen unterschiedlich verstandenen Begriffen von Kommunikation und Austausch zu thematisieren. Sie beziehen sich dabei auf frühere künstlerische Interventionen am Universitätsgelände, die vor einem Jahrzehnt intensive Debatten ausgelöst hatten, und stellen so die Präsens- und Futurfixierung von technologischer Forschung auf eine historische Probe.

Zwei Filmabende mit Lisl Ponger und Klub Zwei führen uns Aspekte von touristischer, migrantischer und politisch erzwungener Migration vor Augen. Sie stellen Mobilitäten und ihr jeweiliges „Management“ aus der Perspektive von Individuen zur Diskussion, deren Motivation und Grad an Freiwilligkeit äußerst divergiert. Lisl Ponger, eine der profiliertesten AvantgardefilmerInnen Österreichs, konfrontiert in ihren Filmen, die auf Found-Footage-Material beruhen, die Erfahrungen von ExilantInnen, TouristInnen und MigrantInnen und demonstriert die manchmal verblüffenden Ähnlichkeiten ebenso wie die eklatanten Unterschiede, die diese Gruppen in Bezug auf Mobilität auszeichnet. Das Künstlerinnenteam Klub Zwei hat mit dem Film „Things. Places. Years.“ Einen viel beachteten Beitrag zur Geschichtsschreibung nationalsozialistischer Vertreibung vorgelegt, der die Erfahrungen emigrierter jüdischer Frauen in London über Generationen hinweg thematisiert und dabei zugleich solche Verallgemeinerungen wie „jüdisch“, „weiblich“, „exiliert“ hinterfragt.

Anfang Dezember präsentieren wir die Uraufführung des Films „Der Park“, eine vom Kunstraum Lakeside produzierte Arbeit von Peter Spillmann, Marion von Osten und Katja Reichard, die auf distanziert-analytische Weise den Zusammenhängen von Arbeitsverhältnissen, Imageproduktion und den insbesondere signifikant/problematischen Beziehungen zwischen Wirtschaft, kulturellem Mehrwert und einzelnem Leben nachgeht, das ein die schiere Ökonomie transzendierendes Projekt wie Lakeside mit sich bringt. Der auf ausführlichen Recherchen und Gesprächen im Park basierende Film führt uns eine Welt vor Augen, die von gut verteilten (hierarchisierten) Rollen geprägt und von einem subtilen Abgleich von Investition und Gewinn einzelner AkteurInnen gekennzeichnet ist.

Gegen Ende des Semesters wird uns Helmut Draxler mit einem Vortrag „Zur Psychopolitik der Privatsphäre“ noch daran erinnern, dass wir im Diskurs um Überwachung und Kontrolle das Private vielleicht fälschlicherweise als ein Jenseits betrachten, während wir vielmehr gerade von da aus Verhältnisse etablieren, die den gesellschaftlichen und politischen Mechanismen den Boden bereiten.

Christian Kravagna, Hedwig Saxenhuber