15. Mai, 19 Uhr
Antke Engel

Sexuelle Diversität unter neoliberalen Vorzeichen

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Die gegenwärtige Pluralisierung geschlechtlicher und sexueller Existenzweisen vollzieht sich in einem Spannungsfeld zwischen neoliberalen ökonomischen Transformationen und sexualpolitischen Bewegungen. Interessant sind diesbezüglich sowohl die diskursiven Überlappungen, die sich gemäß einer Individualisierungsnorm und der Ideologie einer Gestaltbarkeit der eigenen Geschlechtlichkeit und Sexualität ergeben, als auch die Widersprüche, die eine angebliche Stimmigkeit zwischen sexueller Freiheit und Marktfreiheit untergraben. Wenngleich sozio-ökonomische Integration nicht mit politischer Gestaltungsmacht gleichzusetzen ist, geht die Normalisierung divergenter sexueller Lebensformen doch mit bestimmten Freiheitsgewinnen einher. Was zeichnet diese aus? Wer profitiert von ihnen? Um welchen Preis? Charakteristisch erscheint mir eine paradoxe Gleichzeitigkeit von Privatisierung und Veröffentlichung: Während einerseits eine Entpolitisierung sexueller Lebensformen propagiert wird, so dass sexuelle Devianz oder Dissidenz als Privatangelegenheiten erscheinen, wird gleichzeitig die Vervielfältigung und Zirkulation öffentlicher Bilder gefördert, die insbesondere manche Formen homosexuellen Lebens nicht nur als akzeptabel markieren, sondern sie als Avantgarde neoliberaler Subjektivität feiern. Ich möchte den Begriff der „projektiven Integration” anbieten, um den Normalisierungsprozess zu erfassen, der Privatisierung und Veröffentlichung miteinander verknüpft. Mittels „projektiver Integration” entsteht, so meine These, ein neuer hegemonialer Konsens, der die Veruneindeutigung der Hetero/Homo-Opposition nutzt, um sozio-ökonomische Widersprüche zu de-thematisieren. (Antke Engel)

Antke Engel ist promovierte Philosophin, feministische Queer-Theoretikerin und freiberuflich in Wissenschaft und Kulturproduktion tätig. Sie leitet das „Institut für Queer Theory” (Berlin/Hamburg: www.queer-institut.de), das seit 2006 Projekte initiiert, die sich einer „queeren Politik der Repräsentation” verschreiben und in denen sich akademische und aktivistische, philosophische, politische und künstlerische Praxen verflechten. Seit Herbst 2007 ist sie Fellow am Institute for Cultural Inquiry (ICI) in Berlin.