10. April, 19 Uhr
Bojana Pejić/Mare Tralla

Heldinnen der Arbeit

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Bojana Pejić
Heroine of Work – Today: From ”Red Love” to the CODE:RED
Vortrag

„Heldin der Arbeit” ist ein Ausdruck, der in osteuropäischen Ländern eine spezielle Bedeutung hat und mit Praktiken des Staatssozialismus verbunden wird. Der Vortragstitel ist von einer Karikatur nspiriert, die 1992 in der Moskauer Tageszeitung „Izvestia” erschien. Die Zeichnung basiert auf Vera Muchinas berühmter Skulptur „Arbeiter und Kolchosebäuerin” (1937), die oft als Ikone der kommunistischen Ära betrachtet wird. Dieses am Höhepunkt der Stalinära geschaffene allegorische Ensemble personifiziert zwei zentrale Ideen, die nach der Oktoberrevolution institutionalisiert wurden: die historische Allianz von Arbeiterklasse und Bauernschaft sowie die Gleichstellung der Geschlechter. Im Rückblick auf die kommunistische Ikone passt der Karikaturist Chabanov Muchinas Paar den neuen, postsozialistischen Zeiten an: Die Kolchosebäuerin, die früher als „Heldin der (sozialistischen) Arbeit” gesehen wurde, wird nun als Prostituierte dargestellt. Der Vortrag bietet einen Überblick über visuelle Darstellungen (Malereien, Plakate, Filme, Videos, Installationen, öffentliche Kunst), die von Prostitution, Sexarbeit, Frauenhandel, erzwungener Migration, Katalog-Ehen und der „Feminisierung der Armut” handeln. Nach einer historischen Einführung konzentriert sich der Vortrag auf zeitgenössische Kunstproduktionen zu Ost-Westkonstellationen im heutigen Europa. Die historischen Veränderungen nach der „Wende” hatten eine Dynamik, die sich von Prozessen in anderen Teilen der Welt unterschied, und unsere europäische Situation ist immer noch von Ost-Westrelationen geprägt, die sich dem Kalten Krieg und dem Dualismus von „realem” Kapitalismus und „realem” Sozialismus verdanken. Schließlich ist das Thema der (illegalen) Frauenmigration und des Frauenhandels eng verbunden mit der deutschen Wiedervereinigung und der jüngsten Neuordnung der europäischen Grenzen.

Bojana Pejić, geb. in Belgrad, ist Kunsthistorikerin und lebt in Berlin. Sie ist Herausgeberin zahlreicher Bücher und schreibt für mehrere Kunstzeitschriften. Ihre Dissertation befasste sich mit der „Politik der Repräsentation und Repräsentation der Politik in der Öffentlichkeit der SFR Jugoslawien.” Sie kuratierte u.a. die Ausstellung „After the Wall. Art and Culture in post-Communist Europe” 1999–2001 in Stockholm, Budapest und Berlin. Während ihrer Zeit als Gastprofessorin an der Universität Oldenburg organisierte sie 2007 das Symposium „Heroine of work – today. Sex work, feminisation of European migration and visual representations”

Mare Tralla
The Heroine of Post Socialist Labour
EST/UK 2004 | Video | 3:55min

Während der Sowjet-Zeit wurden Frauen als Heldinnen der Arbeit gefeiert: Melkerinnen, Traktorfahrerinnen, Fabrikarbeiterinnen etc. Weibliche Aspekte des Alltagslebens wurden damals oft übersehen. So überrascht es nicht, dass Frauen in den neuen unabhängigen und kapitalistischen Gesellschaften in Osteuropa von der Vorstellung weiblicher Schönheit besessen sind. Die „arbeitenden” Frauen, die den Körper und das Aussehen ähnlich einem Supermodel erzielen, sind die neuen post-sozialistischen Arbeitsheldinnen. In meinem Video betrachte ich diese neue Arbeit ironisch und vergleiche sie mit den alten Heldinnen der Arbeit, um zu sehen, ob sie beide gleich mühevoll und beschwerlich sind. (Mare Tralla)

Mare Tralla, geb.1967, ist Medienkünstlerin und Kuratorin aus Estland. Sie lebt in London und Tallinn. 1995 war sie Co-Kuratorin von „est.fem”, der ersten feministischen Kunstausstellung in Estland. 2000–2003 war sie Professorin für Neue Medien an der Estischen Akademie der Künste. 2001 co-kuratierte sie die Ausstellung und Konferenz zu Neuen Medien „Interstanding4. EndRepeat”. www.tralladigital.co.uk