22. Jan, 18 Uhr
Florian Wüst

Mutual Vision: Industrie und Avantgarde im Film

-

Mit seiner beispiellosen Massenproduktion und Arbeitsteilung machte das 20. Jahrhundert die Mechanisierung zu einer unvermeidlichen Realität. Damit einher ging die Suche nach neuen Kunstformen, mit deren Hilfe man über eine zeitgenössische Wirklichkeit reflektieren konnte, die zunehmend durch Prozessbeschleunigung und Mobilität gekennzeichnet war und sich an wissenschaftliche Vernunft, Sozialhygiene und die Entwicklung neuer Technologien zur Beherrschung der Natur und des menschlichen Körpers hielt. Diese neuen Technologien, insbesondere in den Bereichen Elektronik und maschinelle Anlagen, optische Medien und Kommunikation, Architektur und Design inspirierten sowohl das frühe Avantgarde-Kino als auch den Industriefilm. Doch beinhaltete das Verhältnis zwischen Avantgarde- FilmemacherInnen, TonkünstlerInnen bzw. -ingenieurInnen und den AuftraggeberInnen aus der Industrie weit mehr als nur die gemeinsame Vision von einer besseren und technisch viel versprechenderen Zukunft: Anerkannte KünstlerInnen und FilmemacherInnen (wie Hans Richter, Len Lye oder Norman McLaren) wurden mit Werbe- und Industriefilmen betraut, und Firmen und staatliche Agenturen zeigten ein echtes Interesse für filmische Experimente und abstrakte Ausdrucksformen, wenn es darum ging, ihre Produkte als modern, innovativ und zukunftsorientiert zu bewerben.
Ohne die finanzielle Unterstützung und die wissenschaftliche Forschung von Universitäten und Unternehmen wie IBM oder Bell wären die ersten computergenerierten Filme undenkbar gewesen. So gründete beispielsweise Siemens 1957 ein hauseigenes Studio für elektronische Musik, in dem unter der künstlerischen Leitung des Komponisten Anton Riedl elektronisch erzeugte Töne für die Verwendung in Filmen wie in Musikstücken bearbeitet wurden.

Vor diesem Hintergrund zeigt Florian Wüst eine Auswahl von Experimental- und Industriefilmen/Corporate Filmen aus den Jahren 1920 bis 1970. Mit dem Programm sollen anhand klassischer Beispiele wie auch kaum bekannter Arbeiten die wechselseitigen Prozesse zwischen industrieller Erfindung und künstlerischem Experiment beleuchtet werden.

Mit Filmen von u.a. László Moholy-Nagy, Edgar Reitz und Erik Wernicke.

Florian Wüst, geboren 1970 in München, arbeitet als Künstler und Filmkurator in Berlin. Studium der Freien Kunst an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und Besuch des Master of Arts Programms des Piet Zwart Institute for postgraduate studies and research, Willem de Kooning Academy, Hoogschool Rotterdam. Jüngste kuratorische Projekte u.a.: la vie moderne/revisitée, centre d’art passerelle, Brest (2008); Self-confession vs. Exploitation, Impakt Festival, Utrecht (2008); Die Poesie des Unbewussten. Peter Weiss und der Avantgardefilm, Kino Arsenal, Berlin (2007); The Vision Behind. Technische und soziale Innovationen im Unternehmensfilm ab 1950, Österreichisches Filmmuseum, Wien (2007); die stadt von morgen. Beiträge zu einer Archäologie des Hansaviertels Berlin, Akademie der Künste, Berlin (2007).

Florian Wüst ist Autor und Mitherausgeber von Experience Memory Re-enactment (Frankfurt am Main/Rotterdam 2005).