5. Dez bis 13. Feb
Tanja Widmann

Sich in diesem Sinne ähnlich machen.

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1) Sich in diesem Sinne ähnlich machen. Projektentwurf, erste Fassung:

Walter Benjamin schreibt wiederholt von der Fähigkeit der Kinder, zu einer schöpferischen Ebene von Mimesis Zugang zu haben, die, da sie Wahrnehmung und aktive Umgestaltung zusammenbringt, eine revolutionäre Kraft in sich berge. So vermeint er auch, in einer Figur, in der die ErzieherInnen erzogen werden, die Lehrenden zu Lernenden werden sollten, in der Beobachtung dieser mimetischen Ausführungen eine Erkenntnisweise wiederzuentdecken, die jenseits der «richtigen Antwort» andere Möglichkeiten der Beziehung zwischen Bewusstsein und Realität entwirft, endloses Potenzial der Umgestaltung. Von bisherigen Verfahrensweisen ausgehend, die von mimetischen Aktionen und Fragen der Appropriation im Sinne einer Übersetzung gezeichnet waren, von Paradoxie, plattem Witz und Stillstand, soll hier ein weiteres Mal Text und Bewegung verzögert, geöffnet und letztlich fröhlich usurpiert werden. Doch noch ist der Raum offen, das Spiel muss erst entworfen werden. Und vielleicht müssen wir viele sein, auf jeden Fall aber zwei, um dann so weit zu gehen zu sagen: Jemand, Sie oder ich, tritt vor und sagt: Ich möchte endlich lernen, endlich lehren zu leben.
Und wenn es hier holpert, dann nicht nur, weil auch das schon eine Übersetzung ist, Bezugnahme, abweichend, notwendig unangemessen und doch Lernen von …

2) Sich in diesem Sinne ähnlich machen. Projektentwurf, zweite Fassung:

So oder ähnlich wäre es möglich, über ihr künstlerisches Verfahren zu sprechen, dachte sie. Nicht über ein authentisches Verfahren, sondern ein Verfahren, das im Dienste dieser Arbeit suggeriert wird. Ein Verfahren, das es nahelegt, über das Verhältnis von Mimesis und Appropriation zu sprechen und darüber, wie diese künstlerischen Verfahren sich gesellschaftlich setzen könnten. Adorno hatte sich für eine bestimmte Form des «mimetischen Verfahrens » regelmäßig begeistern können und die Kunst allgemein als «Zuflucht mimetischen Verhaltens» bezeichnet. Demnach wäre es das in der Kunst aufscheinende Verhältnis zwischen einem graduell autonomen Subjekt und seinem Anderen, das als mimetisches aufgefasst würde. Adorno bricht mit der klassischen Konzeption der Nachahmung insofern, als es ihm um ein mimetisches Verhalten geht, das nicht etwa nachahmt, sondern einen gleichsam durch sich selbst vorgezeichneten Weg einschlägt. Ihr schien es aber entscheidend, in dem, was bei Adorno aber auch bei Benjamin als mimetisches Verfahren beschrieben wird, gerade die Frage nach dem Verhältnis zum Anderen aufzugreifen, den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten dieser Verhältnismäßigkeit, die Frage der relativen Autonomie. A. ging es bei dem Begriff der Mimesis um ein Anschmiegen an das Material, B. betonte die Nähe zum kindlichen Spiel. So schrieb B. wiederholt von der Fähigkeit der Kinder, zu einer schöpferischen Ebene von Mimesis Zugang zu haben, die, da sie Wahrnehmung und aktive Umgestaltung zusammenbringt, auch eine revolutionäre Kraft in sich berge. Demnach schien es ihr ebenso wichtig, beider Vorstellung einer transformatorischen Kraft der Mimesis, die Möglichkeit der Neuordnung, aufzunehmen. Auf mimetische Weise etwas zu übernehmen, war für A. gleichbedeutend mit «kritisch» dagegen Stellung zu beziehen. Mimesis besaß für ihn eine kritische Funktion – mit dem mimetischen Sichanschmiegen sollte ein kritischer Anspruch verknüpft sein. Dieser Umschlag von Mimesis in Kritik gleicht einem magischen Vorgang, bei dem die «Mimesis ans Verhärtete und Entfremdete» oder die «Mimesis ans Tote» bereits gleichbedeutend mit «Kritik» sein soll. Eine Hoffnung, der die Erfahrung mit der Gegenwartskunst entgegenzuhalten wäre, die sie nicht bestätigt und vielmehr zeigt, dass mit einem solchen Automatismus keineswegs zu rechnen ist. Auch ihr schien es einleuchtend, dass keineswegs von einer quasi automatisch sich einstellenden Kritik ausgegangen werden könne, indem etwa bestimmte Strategien und Techniken oder gar ein als kritisch geltendes Produktionsverfahren aufgegriffen würden. Dennoch wollte sie diese mimetische Bewegung in Bezug auf eine spezifische Idee der Kritik verstehen, wie sie bei A. vielleicht schon angedacht wäre. Auch A. verweist ja darauf, dass ein «Anspruch tieferen Wissens dem Objekt gegenüber» und «der Trennung des Begriffs von seiner Sache durch die Unabhängigkeit des Urteils» das Verfahren der Kritik als Praxis entwerte. Demgegenüber stünde wohl ein kritisches Verfahren, eine Form der Praxis wiederum, die der Unabhängigkeit des Urteils einen Moment der Verstrickung, des Verhältnisses zur gegebenen Vorlage, dem gegebenen Objekt etc. gegenüberstellt. Dies könnte als eine Praxis der Dekonstruktion oder der Appropriation gedacht werden und würde auch dieses umstürzende Verhältnis von Lehrenden/Lernendem mit einbeziehen, ein Kippen, ein Ungewisswerden der Autoritäten. Jedes Mal würde also eine Versuchsanordnung mit bestimmten Parametern aufgestellt. In diese Festlegung spielten dann aber auch Zufall und Willkür hinein. ... Selbstaufgabe als künstlerische Methode. Das wäre ja im Grunde genommen ein modernistisches Thema. ... Doch wie genau treten nun gesellschaftliche Zwänge in die Kunst ein? Es wäre das Material, dem bei A. dieser Schritt aufgebürdet wird. Es schleppt Gesellschaft gleichsam mit und folgt zugleich seiner eigenen Logik. So wäre doch aber zu fragen, meinte sie, was diese Vorgaben nun wären, von welchem «Material» hier gesprochen würde. Das Vorausgehende wäre ja einerseits Material jedweder Art – ein Foto, eine Szene oder Figur aus einem Film, eine Ansprache, ein Zeitungsschnipsel, eine Musiknummer, Kunstdinge und Alltagsdinge. Über mehrere Arbeiten hinweg zeigten sich aber auch Verhältnisse zu anderen Personen, ein Umfeld, eine lose Gruppe, ohne dass eine Community, Gemeinsamkeiten, eindeutige Zusammengehörigkeit aufgerufen würde. Auch dieser site, dieser Umraum, wäre wohl als eine Art Material zu betrachten. Vor allem aber gab es auch dieses andere Material, die Sprache. Die Texte in den Performances und Installationen wendeten diese quasi gegen sich selbst. So produzierte sie vorwiegend delays, eine Art Stottern, ließ Sagen und Tun paradox zusammenfallen. Sprache kehrte in diesem Verfahren als Gag wieder, als Leerstelle, als in sich selbst zusammenfallendes Sprachspiel. In diesem Sinne würde sie der Vorgabe wohl gerecht, indem sie ihr gerade nicht gerecht werde, dachte sie. So zu sprechen hieße jedoch bereits, ihre Arbeit einem Werk ähnlich machen. So als gäbe es ein Werk, von dem ausgegangen werden könnte, unabhängig. Doch keines der Teile war je autonom, jedes Element konnte nur in einem Verhältnis zur Verfügung gestellt werden, keines ohne die Bezugnahme bestehen. Ob und inwieweit das überhaupt ein künstlerisches Verfahren wäre, fragte sie sich. Und nicht nur Selbsterziehung im Ähnlichen. Ein Verfahren, das es nahelegt, über das Verhältnis von Mimesis und Appropriation zu sprechen und darüber, wie diese künstlerischen Verfahren sich gesellschaftlich setzen könnten.

Siehe:
Isabelle Graw: «Adorno ist unter uns.» In: Nicolaus Schaffhausen et. al. (Hg.): Die Möglichkeit des Unmöglichen. Frankfurt am Main 2004; und Isabelle Graw: «Ohne Make-up». In: Cindy Sherman: Clowns. München/Hannover 2004. Sowie: Jacques Derrida: Marx’ Gespenster. Der Staat der Schuld, die Trauerarbeit und die neue Internationale. Frankfurt am Main 2004.

Tanja Widmann arbeitet als Künstlerin, Autorin, Kuratorin und unterrichtet an der Universität für angewandte Kunst, Wien. In ihrer künstlerischen und theoretischen Arbeit untersucht sie Sprache in ihrer Konventionalität und Regelhaftigkeit, entlang ihrer Sprünge und Brüche, ihres Vermögens zur Doppelbödigkeit und demnach grundlegenden Offenheit. Die Sprache zeigt sich so als bestimmten Diskursen, Akteuren, Genres zugehörig, während das performende Subjekt selbst ständig in Zwischenräume fällt. In den Performances und Installationen kehrt es als unverortetes Double wieder, im (Un-)Verhältnis zu und kontaminiert von allen anderen wirkenden Elementen – dem jeweils anderen, dem Publikum, der Kamera, Kunstdingen, Alltagsdingen. Ein ständig stockender Durchlauf in zeitlichen Aufschüben, paradoxen Bewegungen, platten Witzen.
Gruppenausstellungen: lecture/audience/ camera (Muhka, Antwerpen 2008), Lectureperformancenight (Hebbel am Ufer, Berlin 2007), Blueblacksliding constellations und weiss (Kunstverein Bonn, Bonn 2007), Shandyismus. Autorschaft als Genre (Secession, Wien und Kunsthaus, Dresden 2007), the film as a page of victor hugo rewritten in the style of nerval (JET, Berlin 2007).
Co-kuratierte Ausstellungen: Nichts ist aufregend. Nichts ist sexy. Nichts ist nicht peinlich. (Mumok, Wien 2008), Blick A, Blick B (Salzburger Kunstverein, Salzburg 2005/6), Dass die Körper sprechen, auch das wissen wir seit langem.* (Generali Foundation, Wien 2004).
Regelmäßig Beiträge für Kataloge, Texte zur Kunst und springerin.