17. Okt bis 28. Nov
Alexander Vaindorf

Useless/Open Letter to the Government #2 (Will You Be Profitable, Little Friend?)

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Das Gemälde «Will You Be Profitable, Little Friend?» (1972) des schwedischen Künstlers Peter Tillberg gehört wohl zu den bekanntesten und beliebtesten Kunstwerken Schwedens aus der Zeit nach 1968. Es zeigt eine ganz normale Schulklasse aus einer scheinbar ganz normalen Kleinstadt. In seiner realistischen Art hat Tillberg die frontale Perspektive des Lehrers gewählt, der die im Titel stehende Frage zu stellen scheint – Wirst du rentabel sein, kleiner Freund? Die Botschaft ist klar: Das Gemälde kritisiert eine Gesellschaft, in der wir zu LohnsklavInnen erzogen werden, ganz egal, ob wir für den Staat oder für das Kapital arbeiten.

34 Jahre später kommt der russischschwedische Künstler Alexander Vaindorf mit einer zeitgenössischen Perspektive auf dieses Gemälde zurück. «Useless/Open Letter to the Government #2, Will You Be Profitable, Little Friend?» besteht aus einem 26-min. Video, einem Foto, persönlichen Briefen von SchülerInnen an die schwedische Regierung, einer Tafel und Plakaten. Die Abschlussklasse eines Stockholmer Gymnasiums wurde von Vaindorf instruiert, Tillbergs Gemälde zu betrachten und da nach einen Brief an die Regierung zu schreiben. Die Briefe wurden im regulären Schwedischunterricht behandelt, und alle SchülerInnen mussten lesen, was die anderen geschrieben hatten.
Zum Schluss brachte Vaindorf die SchülerInnen in einer der Situation in Tillbergs Gemälde nachempfundenen gefilmten Unterrichtsstunde zusammen, in der sie über die geschriebenen Briefe diskutierten. Dieses Video wurde anschließend an die schwedische Regierung gesandt.

In dem Video sieht man eine sehr offene und ehrliche Diskussion unter SchülerInnen. Sie wird von drei Kameras gefilmt, und sowohl das Aufnahme-Equipment als auch Vaindorfs Fragen sind deutlich sicht- bzw. hörbar. Im Stil des «Direct Cinema» folgt die Erzählung dem Lauf der Dinge. Zur Verdeutlichung des Dialogs zwischen Vergangenheit und Gegenwart sind Anfang und Ende in Farbe, die Diskussion aber in Schwarzweiß gefilmt.

Im Gegensatz zu Vaindorfs Video kommen in Tillbergs Gemälde die Ansichten der SchülerInnen nicht zum Ausdruck. Wir sehen sie als Gruppe, als anonymes Kollektiv. In Vaindorfs Video ist das Gegenteil der Fall. Hier werden die SchülerInnen nach und nach zu Individuen mit unterschiedlichen Meinungen, was nicht zuletzt eine umfassende Veränderung der schwedischen Gesellschaft kennzeichnet.

Die größte Angst, die die SchülerInnen in dem Video zum Ausdruck bringen, ist, dass sie keinen Job finden und später nicht das tun können, was sie gerne möchten. Auch scheinen sie der Gesellschaft bzw. den PolitikerInnen nicht zu trauen, oder, wie es im Video von Schülerseite heißt: «Muss ich mir Gedanken über Obdachlose auf der anderen Seite des Globus machen?»

Haben die stummen SchülerInnen in Tillbergs Gemälde genauso gedacht? Wir werden es nie wissen. Aber in Vaindorfs Video wissen wir es. Heute muss man für sich selbst einstehen. Dies ist einerseits ein positives Zeichen, andererseits aber auch traurig. Was geschieht mit unseren gemeinsamen Werten? Deshalb schicken Alexander Vaindorf und die SchülerInnen den Videobrief an die Regierung. Es wird Zeit, der Realität ins Auge zu sehen!
(John Peter Nilsson, Kurator am Moderna Museet Stockholm, Schweden)