Lernen von ...

Vorwort
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Lebenslanges Lernen und die Entstehung einer Wissensgesellschaft – so lauteten die Schlagworte gesellschaftspolitischer Utopien der Jahrtausendwende. In den letzten Jahren jedoch erlebten nicht allein bei Studierenden jene Disziplinen einen Boom, die das Erfolgskonzept der Effizienz verkörperten. Jedes und alles wurde da unter dem Kriterium der Kosten gesehen, die Gesellschaft und ihre Institutionen neu vermessen, fragmentiert und skelettiert und mit den Zauberformeln der Ökonomen gemessen.
Auch Bildung, sehr lange als unantastbares Grundrecht und hoch geschätzter Wert moderner Gesellschaften betrachtet, war nun von der Alleinherrschaft ökonomischer Maßstäbe nicht ausgenommen. War in der ersten Moderne – in der Entwicklung zur Industriegesellschaft – Bildung durch ihre Formalisierung gekennzeichnet, so hat sie heute ein reflektiertes Verhältnis zu sich, zu den anderen und zur Welt; sie stellt eine Informalisierung von Bezügen da.
Auch sind ihre Institutionen nicht unangetastet geblieben. Dem informellen Lernen, dem Lernen im Alltag wird eine bedeutendere Rolle zuerkannt. In welche Rolle drängt nun die allgegenwärtige Logik der budgetären Effizienz die klassischen Bildungseinrichtungen?

Der russisch/schwedische Künstler Alexander Vaindorf wollte es genauer wissen, und hat mit einer schwedischen Maturaklasse das im ganzen Land bekannte Gemälde von Peter Tillberg «Wirst du dich auch rentieren, mein Kleiner?» diskutiert. Das neorealistische Bild von 1972 zeigt die konservative Erstarrung einer Bildungseinrichtung und die Vereinzelung der Individuen in einem ästhetisch properen Umfeld. Vaindorf regte die SchülerInnen an, einen kollektiven Brief an die Regierung zu verfassen. Die individuellen Briefe entfachten eine rege Debatte unter den SchülerInnen, die von drei Kameras aufgezeichnet wurde. Vaindorfs Film ist im Kunstraum Lakeside im Rahmen der Ausstellung «Useless/ Open Letter to the Government #2 Will You Be Profitable, Little Friend?» zu sehen.

Vaindorf hat auch für Klagenfurt eine Wiederholung dieses Vorgehens mit einer Maturaklasse angeregt. Dabei geht es ihm nicht um einen Vergleich im Sinne von PISA oder einem anderen EU-Ranking. Im Mittelpunkt steht vielmehr Vaindorfs sehr eigene partizipatorische Beobachtung und die Verantwortung in diesem sozialen Experiment.

Nicht nur die rezente Krise des Finanzkapitalismus hat in jüngster Zeit den Diskussionen um den Begriff der Bildung wieder neuen Nachdruck und Richtung gegeben – weg von der Marktgängigkeit, Verwertbarkeit und Effizienz hin zu Aspekten wie Zugang, Komplexität und Dringlichkeit.

Dieser neuen Dringlichkeit stellt sich das diesjährige Semesterprogramm «Lernen von …», indem es neben der Hinterfragung des konventionellen Schulsystems auch eine andere Sicht auf Konzepte des Lernens richtet, etwa in der Arbeit der in Villach geborenen Künstlerin, Autorin und Kuratorin Tanja Widmann. Ihre Praxis ist zwischen Performance, Sprache, Text, Theorie und Kommunikation angesiedelt und beschäftigt sich vornehmlich mit zwei rhetorischen Figuren: der Appropriation und der Mimesis. Der Begriff der Aneignung (Appropriation), hatte sich in den 1980er Jahren als stilbildendes Genre in der bildenden Kunst durchgesetzt: Vorhandene Ideen und geborgte stilistische Elemente wurden hier zu einem neuen Kunstwerk zusammengefasst, ja sogar idente Kopien wurden als Neues propagiert und dieses Neue im alten Gewand konnte auch in vielen Copyright-Auseinandersetzungen obsiegen. Mimesis (Nachahmung) dagegen bezeichnet ursprünglich das Vermögen, mittels einer körperlichen Geste eine Wirkung zu erzielen. Aneignung und Intervention beschäftigen Tanja Widmann nicht nur in ihrer Installation, sondern ist auch in der im Kunstraum Lakeside durchgeführten Reading Session «Hiat Gag Geste» mit open end – gemeinsam mit Sönke Hallmann und Inga Zimperich.

Wie Kunst und Industrie in einem direkten Auftragsverhältnis zueinander die Konzepte von Innovation und Lernen aushandeln, zeigt schließlich der dritte Semesterschwerpunkt – das Filmprogramm von Florian Wüst – anhand von historischen Beispielen des Unternehmensfilmes. Im Zusammenspiel von Avantgarde und Unternehmen entwickelt sich im besten Falle auch ein gegenseitig bedingtes Lernen. Den Unternehmensfilmen liegen «ökonomische Interessen, moralische Positionierungen und Strategien der Imagebildung zugrunde, sie geben aber auch Aufschluss über kollektive Wunschvorstellungen» (Wüst). Die Visualisierung technischer und sozialer Innovationen war als Experimentierfeld für künstlerische Herangehensweisen offen, jedoch nicht frei vom Interesse des Auftraggebers.

In diesem Sinne beleuchten auch die Positionen, die sich im Wintersemester 2008/09 im Kunstraum Lakeside präsentieren, wie unterschiedlich und widersprüchlich und dennoch oft aufeinander bezogen die Interessenslagen des «Lernen von …» zum Beispiel im Feld der Kunst in einer postindustriellen Gesellschaft formiert sind. Zumindest jenseits der reinen Effizienzrhetorik.

Christian Kravagna, Hedwig Saxenhuber