23. November, 18.30 Uhr


Maria Fuchs "Musikalische Illustration im Stummfilmkino"

-

„Ob Liebe, Haß, Sturm oder Brand, Nimm stets die Kinothek zur Hand!“ – Mit diesem Slogan wurde die Praxis der Stummfilmmusik treffend in einem Branchenblatt beworben.

In sogenannten Kinomusikbibliotheken wurden Musikstücke der Klassik und Romantik sowie selbstkomponierte, filmmusikalische Charakterstücke nach allgemeinen, wiederkehrenden Filmsituationen aufgeschlüsselt und katalogisiert. Das Verfahren, Musikstücke unterschiedlichster Herkunft ihrem Stimmungs- und Affektgehalt nach zu zerschneiden und dem Filmgeschehen entsprechend zu einer Begleitmusik zusammenzufügen, wurde als „musikalische Illustration“ bezeichnet. Eine maßgeschneiderte, von der Filmproduktionsfirma zur Verfügung gestellte Begleitmusik war eine Besonderheit – wie etwa die Komposition von Camille Saint-Saëns zu Die Ermordung des Herzogs von Guise (1908) oder Gottfried Huppertzs Metropolis-Musik von 1927. Die Musikillustratoren im Kino mussten daher in der Lage sein, sich auf unterschiedliche Filme schnell einzustellen. Hilfreich war hierfür das "Allgemeinen Handbuch der Film-Musik" von Hans Erdmann, Ludwig Brav und Giuseppe Becce, das 1927 beim Berliner Verlag Schlesinger erschien. Es enthält unter anderem ein „Thematisches Skalenregister“, das eine ausgereifte, künstlerische Methode für die Musikillustration des Stummfilms bereitstellte und Hermann Kretzschmars Theorie der musikalischen Hermeneutik in die kinomusikalische Alltagspraxis übertrug. 

„Das Allgemeine Handbuch der Film-Musik“ dokumentiert und reflektiert in zwei Bänden eingehend die „musikalische Illustration“ des Stummfilms im Deutschland der 1920er Jahre und ist Ausgangspunkt der Autorin Maria Fuchs bei der Rekonstruktion der unterschiedlichen theoretischen und praktischen Diskurse wie ästhetischen Standortbestimmung der Stummfilmmusik.

Maria Fuchs, Stummfilmmusik. Theorie und Praxis im "Allgemeinen Handbuch der Film-Musik“ (1927), 2017