Bad Seeds

Vorwort
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Die Revolutionen der Vergangenheit standen im Zeichen einer Idee von besserer Zukunft. Heute ist es dagegen oft die mythenbehaftete Berufung auf «Geschichte» und historische Wurzeln, unter der bestehende Ordnungen umgewälzt werden sollen. So jedenfalls sieht es der ukrainische Künstler und Autor Oleksiy Radynski, der im November im kunstraum lakeside zu den aktuellen Kämpfen in seinem Land sprechen wird. In seiner «Kakophonie des Donbas» analysiert er den russisch-ukrainischen Krieg als fundamentalistische Reaktion auf die Globalisierung und die Doppelrolle der Medien als Berichterstatter und aktive Mitspieler in den politischen und militärischen Konflikten. In welcher Weise ukrainische KünstlerInnen diese Konflikte, aber auch die politischen Verhältnisse davor und Entwürfe einer neuen Gesellschaft in kritische Bilder fassen, demonstriert die von Lesya Prokopenko zusammengestellte Ausstellung «Sister Europe». Die Ausstellung unternimmt den schwierigen Versuch, kritische Analysen aus der Perspektive von KünstlerInnen zu betreiben, die direkt in die politischen Demonstrationen rund um den Maidan in Kiew involviert waren. Können KünstlerInnen überzeugendere oder differenziertere Ausdeutungen der komplizierten politischen Verhältnisse und ihrer historischen Hintergründe anbieten, als PolitikerInnen und Medien es gemeinhin tun? Gewiss nicht zwangsläufig. Mit «Sister Europe» verfolgt Prokopenko vielmehr einen kuratorischen Ansatz, der auf der Subjektivität von künstlerischen Perspektiven und der individuellen Beteiligung an dem Geschehen beruht, um durch diese Konzentration auf Detailbeobachtung und persönliche Erfahrung fragmentarische Einsichten in ein Land zu gewinnen, das «mit seiner sowjetischen Vergangenheit und mit den postsowjetischen Symptomen zugleich brechen will».

In der zweiten Ausstellung dieses Semesters beschäftigen sich die Berliner KünstlerInnen Alice Creischer und Andreas Siekmann mit den globalen Auswirkungen der Mono­polisierung von Saatgut. Ihr Projekt «In the Stomach of the Predators» untersucht die zerstörerischen Seiten eines «philanthropischen Kapitalismus», der «Engagement» für globale Probleme mit Konzerninteressen und neoliberalen Finanzpolitiken scheinbar widerspruchsfrei zu verbinden sucht. Kann die Rettung der Welt bzw. der Menschheit gelingen, wenn sie von Privatstiftungen angestrengt wird, deren Firmen zugleich einen globalen Verdrängungswettbewerb forcieren? Ausgehend von dem im ewigen Eis von Spitzbergen vor einigen Jahren eingerichteten Saatguttresor (Global Seed Vault), der zur Bewahrung der Biodiversität von Saaten aus aller Welt dienen soll und von Konzernen finanziert wird, die mit ihrer kommerziellen Monopolisierung von Saatgut zu den großen Zerstörern solcher Diversität gehören, zeichnet die Ausstellung eine Reihe von ökologischen Katastrophen seit den Anfängen der Agroindustrie in der Zwischenkriegszeit nach. Sie fragt dabei auch nach den Dynamiken von Desastern, aus denen neue Bedürfnisse erwachsen, die häufig durch dieselben Anbieter befriedigt werden, deren Geschäftsgebaren die Katastrophe verursacht hat. Creischer/Siekmann arbeiten immer auch an der Ausarbeitung von visuellen Sprachen und Darstellungssystemen, mit denen komplizierte Wechselwirkungen von Wirtschaft, Politik und Natur erfasst werden können. Im Fall der Ausstellung «In the Stomach of the Predators» sind es vor allem an statistische Grafiken angelehnte Bildtafeln und die tragische Ironie des Nachspielens von offiziellen Ereignissen des philantropischen Kapitalismus.

Christian Kravagna, Hedwig Saxenhuber