Form und Identität

Vorwort
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Im letzten Semester hat der kunstraum lakeside das Thema «Körper» aus medialer sowie ökonomischer Sicht verhandelt und die Repräsentation devianter oder unterdrückter sexueller Orientierungen reflektiert. Das Sommersemester setzt denselben thematischen Rahmen fort, jedoch stehen diesmal traditionelle Formensprachen wie Zeichnung, Emailmalerei, Textilkunst und Film im Mittelpunkt. Mit diesen Genres arbeiten die beiden KünstlerInnen, sie suchen die in ihnen verborgenen Subtexte auf und weisen auf deren Produktionsbedingungen hin – mit dem Ziel, diese zu destabilisieren. Form ist das Medium, um das die Reinterpretation dieser Genres kreist, ihre Um- und Neucodierung.

Ming Wong, der in Singapur geboren wurde, jetzt in Berlin lebt, nimmt in seinen zwei Videoinstallationen «Lerne Deutsch mit Petra von Kant» (2007) und «Angst Essen» (2008) zwei frühe Filme von Rainer Werner Fassbinder als Vorlage, um als Immigrant die Sprache und Kultur seines Gastlandes einzuüben. Für den Künstler sind diese Fassbinder-Adaptionen frühe Referenzen auf seine eigene Praxis, in denen er Sprache und Identität adressiert. Fassbinder hat Xenophobie und Migration thematisiert, Klassengegensätze offen verhandelt, wie auch Schwulsein, Drag und Travestiekultur. Wongs Re-Staging arbeitet sich mit Verve und Komik an diesem kinematografischen Role-Model ab. Er spielt alle Rollen selbst und schlüpft dabei – vielmehr wandert – in und durch alle Identitätsangebote, die sie bieten. Sein Spiel changiert lustvoll, approbiert nicht nur Genres und Genderrollen, sondern verwendet auch viele ­filmische Stilmittel, wie z.B. die Technik des Drag-Films.

Die in New York lebende Künstlerin Ulrike Müller zeigt paradigmatisch Arbeiten zur Abstraktion, wobei sie das Prinzip der Übersetzung als zentrales Motiv zur Diskussion stellt. Müller weist ein vielfältiges diskursives und visuelles Werk auf, ob als Kuratorin der beeindruckenden Zeichnungsausstellung «Herstory Inventory», die auf impulsgebende Archive der Lesbenbewegung zurückgreift, oder als kollektive Herausgeberin des queer-feministischen Magazins LTTR, als Lektorin oder in aktivistischen Zusammenhängen. Auch Müllers beinahe abstrakte Zeichnungen knüpfen an die Postulate der postminimalistischen, konzeptuellen und repräsentationskritischen Malerei an. Keine Kunst kommt ohne die Formalisierung des Dringlichen aus. In Müllers Bildern wird die Formalisierung beinahe bis zur reinen Form geführt. Und dennoch sind sie voll von Präsenz dessen, was sich der Abstraktion widersetzt. Diese Bilder sind abstrakt und sexuell, dekorativ und körperlich, geometrisch und unstabil zu­gleich. Harmonie und Verletzung in einem Bild, wie das Zerreißen und die sanfte Berührung, und das in dieser gespritzten Material­ästhetik, als ließen sich die existen­ziellen Widersprüche im Kunsthandwerklichen aufheben. Bei der Übersetzung dieser Bildkonzepte in Tapisserien bezieht sich Müller auf die oft entfremdeten Arbeitsbedingungen in einer der globalisiertesten Branchen schlechthin, der Textilindustrie, indem sie direkten Kontakt und Austausch mit den ProduzentInnen ihrer Entwürfe sucht und damit auf vorindustrielle und alternative Modelle von Produktion verweist, wie sie bis heute Realität in der Arbeitsumgebung des Ateliers sind. Textilkunst ist oft in die Nähe von Kunsthandwerk, eine abfällig als ­«weiblich» konnotierte Praxis, gerückt worden. Mit der Einbeziehung dieser Referenzschleifen in die abstrakten Gewebe und jene ihres konzeptuellen Gestaltens hält Müller den Stellenwert des Kunstwerks selbst zwischen dem «auratischen» Anspruch der Autonomie und deren Kritik im Werk selbst in einer fragilen Balance.

Hedwig Saxenhuber, Christian Kravagna