29. Nov. bis 17. Jan 2014

«Ideal Individuals»

L.A. Raeven

 

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Die Zwillingsschwestern Liesbeth und Angelique Raeven (geb. 1971 im niederländischen Heerlen, leben und arbeiten in Amsterdam) begannen ihre künstlerische Zusammenarbeit als L.A. Raeven im Jahr 1999. In ihrer Arbeit beschäftigen sie sich mit dem Begriff des «idealen Individuums», den sie mit ihren Videos, Zeichnungen, Installationen und Performances einer eingehenden Analyse unterziehen. Sie hinterfragen die Bedeutung des Körpers und seines Bildes in der westlichen Gesellschaft sowie die sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Zwänge. Dem Diktat von Mode und Medien begegnen sie mit harscher Kritik. Sie fechten traditionelle Darstellungen weiblicher Schönheit an, indem sie die Codes ebendieser Gesellschaft in ihre Werke mit einbeziehen, um sie zu entlarven und deutlicher sichtbar zu machen. Daraus entwickelt sich eine Auseinandersetzung mit Fragestellungen, die sich aus dem Bild des idealen Körpers und seiner gesellschaftlichen Konstruktion innerhalb verschiedener kultureller und ­historischer Kontexte ergeben.

            «Die Gesellschaft schafft Idealbilder, denen jede/r entsprechen soll. Die Medien diktieren, dass man attraktiv und erfolgreich sein soll, ein/e PerfektionistIn und alles unter Kontrolle haben soll», erklären ­Liesbeth und Angelique Raeven. Seit 2000 haben sie Situationen inszeniert, die westliche Ideale männlicher und weiblicher Schönheit sowie entsprechendes Konsumverhalten infrage stellen. Ihre oft kritisierte extreme Form der Darstellung charakterisieren die Künstlerinnen selbst als «ästhetischen Terrorismus».

            2001 präsentierten L.A. Raeven erstmals eine Videoinstallation («Wild Zone 1»), für die sie sich in einem komplexen, durch den von Deleuze geprägten Begriff des «social outsider» inspirierten Selbstporträt inszenierten. Ostentativ stellen sie ihre mageren, blassen, seit ihrer Jugend von Essstörungen gezeichneten Körper zur Schau und verweisen damit nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf die zeitgenössische Gesellschaft. Dort, wo die Modeindustrie extreme Schlankheit einfordert, gerät das «ideale Individuum» als Vorbild gerade für junge Mädchen zur Gefahr für die Gesundheit.

            L.A. Raeven haben zahlreiche Performances inszeniert, in denen sie junge Leute jener Quälerei aussetzen, die Models in Auswahlverfahren für Modeschauen oder TänzerInnen, die sich für Ballettschulen bewerben, durchmachen. Zeit vergeht in ihren Videos ohne Handlung, Glamour oder Spektakel, und manchmal werden die jungen Leute durch L.A. Raeven gründlich vermessen und inspiziert. Unter der Überschrift «Ideal Individual» wurden die Anforderungen für jene aufgelistet, die an einer Aufnahme in L.A. Raevens «Ideal Army» interessiert waren, und umfassten u.a. ein Brustmaß von 82 cm und eine Taille von 43 cm plus eine Reihe von psychologischen Besonderheiten wie «ungewöhnliche Ess- und Trinkgewohnheiten» und «mindestens ein körperliches Handicap». Die Maße entsprechen einer großen und extrem dünnen Person von androgyner Erscheinung. Diese Figur wird in der Modewelt als die attraktivste angesehen und in der Werbung «reproduziert», während solche Maße in der wirklichen Welt mit Krankheit und Anorexie assoziiert werden. So wird etwa in dem Video «Echos of Dispair» eine junge Frau porträtiert, die sich zwingt, nur mehr Wasser zu trinken, eine unter Anorexie-Patienten verbreitete Praxis.

            Ebenfalls autobiografisch motiviert ist die Beschäftigung mit dem «Zwillingsein» und der symbiotischen Beziehung, die die beiden Schwestern eint oder verschmelzen lässt. Zwischen der Liebe und Abhängigkeit, die sie verbindet, erweisen sich die Suche nach der eigenen Identität und das Streben nach Abgrenzung bisweilen als schmerzhaft. Ihre gemeinsame künstlerische Praxis unter dem Namen L.A. Raeven ist gleichzeitig Reaktion auf ihre Identität als Zwillingsschwestern sowie auf gesellschaftliche Stereotype, die sie als ein einziges Wesen erscheinen lassen.

 

Liesbeth und Angelique Raeven, geb. 1971 im niederländischen Heerlen, leben und arbeiten in Amsterdam. ­Ausstellungen (Auswahl): «Narcissistic ­Tendencies», Nest, Den Haag (2013); Casino Luxembourg, Luxemburg (2012); «Niet Normaal, Difference on Display», Beurs van Berlage (NL) (2010); «Rebelle: Kunst en Feminisme 1969–2000», MMK Arnheim; «All That Is Solid Melts Into Air», MUHKA, Mechelen (BE) (2009); Frac Nord – Pas de Calais (FR); Galerie Haas & Fischer, Zürich (2007); LMAK Gallery, New York (2006); «Critical Society», Badischer Kunstverein, ­Karlsruhe (2005); Stedelijk Museum Bureau Amsterdam (2004), Gwangju Biennale, Gwangju, Südkorea (2002); Charim Gallery, Wien (2001).