Krisen.Zustände

Vorwort
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«Jede Krise hat auch ihr Gutes», damit vertröstete man sich in den letzten Jahren. Ist dieser Satz «Alles wird besser» an ­seine Grenzen gekommen?

            Die nordamerikanische Queer-Theoretikerin Jasbir K. Puar verbindet in ihrer Forschung Fragen von Behinderung mit Analysen des Neoliberalismus. «Diese ‹Krise› ist heute nicht mehr durch ihre ­Vergänglichkeit markiert, sondern verlängert sich in einer Art Normalisierung des ­Ausnahmezustands.»1 Die Krise hat auch Auswirkungen auf die Gesundheit und die psychische Verfasstheit einer Gesellschaft und deren Individuen. Entlang der Schlagworte Devianz und Abnorm sowie Gesellschaft und Vereinzelung entwickelten sich die beiden Ausstellungskonzepte.

            «Die Neukonfiguration von Körpern und Kapital impliziert immense Verschiebungen, die narrativen Strukturen von ‹es wird besser›/‹schlechter› gehen in eine neoliberale Struktur über, die es nicht mehr nötig hat, Behinderung und Debilität zu überwinden. Im Gegenteil, stattdessen blühen sie durch die Schocks des Systems erst richtig auf und dieses profitiert davon, dass die Krise als normativer Zustand aufrechterhalten wird, sowohl körperlich auch als ökonomisch.»2

            Die von Eva Egermann kuratierte Ausstellung «Über unheimliche Zustände und Körper» könnte als Antwort auf Puars Aussagen gelesen werden. Es ist eine Assemblage von Kunstwerken – Artenjaks Kosmologien, Belskys Soundinstallationen und Egermanns Fotografien, die an Alltagssituationen andocken, Berniens und Schrödingers Entkernung der Farb- und Gefühlswelten, die eingelernte Sicherheiten dechiffrieren, Fowlers archivarisch biografischer Filmstoff über die Figur des Antipsychiaters Laing, Gaberz’ Sound- und Bildcollagen von «Bodies und Befinden» sowie Timischls Video/Malerei-Diptychon –, die eine Menge Fragen zur Präsenz von Devianz und Zerrissenheit der Individuen in der Gegenwart aufwerfen.

Der zweite Themenschwerpunkt zu «Krisen.Zustände» handelt von der Gesellschaft sowie der Unfähigkeit dazu, der Vereinzelung. Monika Vykoukals Ausstellung «Ungesellige Geselligkeit» (Kant) zeigt in ihren Beiträgen Formen des Zusammenlebens und den Abgang aus einer Gemeinschaft. Alltägliche Momente solidarischen Gemeinschaftslebens neben jenen von Protestbewegungen schildern die Bildgeschichten von Erik Ruin und Cindy Milstein. Sarah J Stanleys Bild-Text-Arbeiten und Skulpturen sind Gegenentwürfe zu den in ihrer Kindheit streng reglementierten Vorstellungen einer christlichen Familie. The Institute for the Art and Practice of Dissent at Home sind zwei KünstlerInnen, Lena Simic und Gary Anderson, die aus dem täglichen Familienleben mit ihren Kindern Neal, Gabriel und Sid als Familie eine kritische Kunstpraxis entwickelten und in Klagenfurt eine Family-Performance darstellen sowie «The Institute’s Anti Ödipus Home Movie» zeigen.

 

Hedwig Saxenhuber, Christian Kravagna

 

 

1  Tim Stüttgen: «Ein Knotenpunkt von vielen. Interview mit der Queer-Theoretikerin Jasbir K. Puar zu Fragen des Posthu­ma­nismus.» In: springerin, Antihumanismus, Band XIX, Heft 1, Winter 2013, S. 46.

Ebd.