29. März bis 6. Juli

«Das ist wirklich hier passiert»

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Hubert Lobnig, Matthias Wieser «Klagenfurt brennt»

Für die Ausstellung «Das ist wirklich hier passiert» wurden drei Ereignisse der alternativen und gegenkulturellen Geschichte Kärntens exemplarisch aufgearbeitet.

            Im Zentrum der Ausstellung steht das nun schon historische Ereignis der Besetzung der Reitschulgasse 4 und die damit verknüpfte Forderung, ein Kultur- und Kommunikationszentrum («KommZ») für alle in Klagenfurt/Celovec zu errichten. Am 20. Juni 1979, parallel zu dem im Rahmen der «Woche der Begegnung» stattfindenden Bachmannwettbewerb – bei dem gegen die Form des Wettlesens protestiert wurde –, besetzten LiteratInnen und Jugendliche das Nachbarhaus des Veranstaltungsorts. Ab dem Zeitpunkt der Besetzung fand hauptsächlich im Sommer und Herbst 1979 eine große Anzahl von Konzerten, Lesungen, Diskussionen im Haus und vor allem im vorgelagerten Garten statt. Viele KünstlerInnen und Personen des öffentlichen Lebens solidarisierten sich mit den Forderungen der BesetzerInnen. Mit der Stadt geführte Verhandlungen scheiterten, fanden aber immerhin intensiv statt. Das besetzte Haus wurde am 21. März 1980 geräumt und später in das sogenannte Europahaus, einen von der Stadt geführten Ort mit Künstlerwohnungen, Büros und Ausstellungsräumen, umgewandelt.

            Als zweiten Bereich versammelt die Ausstellung Material über die Ereignisse rund um den sogenannten BombaClab, ein in seiner Programmatik, nicht jedoch in den ästhetischen Mitteln sehr verwandtes Hausbesetzerprojekt am Kreuzbergl in Klagenfurt/Celovec von 2006. Im Frühsommer wurden dort zwei Militärbaracken von Jugendlichen auf einem ehemaligen Schießübungsplatz besetzt. Den geschichtlichen Hintergrund des Orts aufzuarbeiten war eines der Ziele des BombaClab. Auch hier forderten die Jugendlichen, die ihrer Zeit entsprechend eher der DJ- und Sprayerkultur entstammten, ein autonomes Zentrum in Klagenfurt/ Celovec, in dem sie Veranstaltungen abhalten, Partys feiern oder einfach abhängen konnten, «da es in Klagenfurt/ Celovec kaum Platz für Kultur abseits von Kommerz, Nationalismus und Kontrolle gibt». Die Häuser wurden nicht bewohnt und von verschiedenen Gruppen regel­mäßig für Veranstaltungen genutzt. Doch auch dieser «Freiraum, der die slowenische Sprache und Kultur aktiv mit einbezieht […], in dem niemand wegen seiner/ ihrer Hautfarbe, Geschlecht oder sexuellen Orientierung ausgeschlossen wird», wurde im Herbst 2006 geräumt, polizeilich versiegelt und mit Sperrgittern verschlossen. Die Gebäude stehen bis heute leer: «Never trust in Klagenfurt».

            Im dritten Bereich der Ausstellung geht es um die Gründung, das Leben und das politische Engagement der Longo maï Gruppe auf dem Hof Stopar in der Gemeinde Eisenkappel/Železna Kapla seit 1977. Die Longo maï Kooperative Österreich (internationale Gründung 1973), Verein zur Förderung der Wiederbesiedelung von Bergregionen, ist im Gegensatz zu den oben genannten urbanen Hausbesetzungen von der Stadt aufs Land gezogen, um durch Landwirtschaft und Selbstversorgerstrukturen autonom von sozialen und wirtschaftlichen Zwängen agieren zu können. Ein Anlass für die Niederlassung in dem sehr entlegenen Gebiet waren u.a. die historischen Ereignisse in diesem Gebiet: der Widerstand der Kärntner SlowenInnen in der Zeit des Nationalsozialismus. Neben der Etablierung autonomer Landwirtschaft und dem Wiederaufbau des Hofs haben sich die BewohnerInnen des Stopar aber auch immer wieder gesellschaftspolitisch engagiert – sei es für zweisprachige Schulen in Kärnten, im Europäischen BürgerInnenforum und im alternativen Informationsnetz AIM während der Balkankriege oder für die Verbreitung freier, nicht kommerzieller Lokalradios in Österreich.

            Ausgangspunkt der gemeinsamen Lehrveranstaltung ist ihr experimenteller Zugang gewesen. Die Studierenden haben sowohl ihre Kenntnisse und Methoden der Sozialforschung als auch ihre medienpraktischen Kompetenzen im Feld kreativ erprobt. Wir haben sie dabei theoretisch, methodisch, konzeptionell und künstlerisch unterstützt, wobei wir einen kollegialen und durchaus unhierarchischen Umgangsstil pflegen. Die Studierenden haben in privaten wie öffentlichen Archiven und im Internet recherchiert, Dinge in Erfahrung gebracht, Interviews geführt, Dokumente, Fotos und Gegenstände gefunden und zusammengetragen. «Follow the people, the thing, the story!» (George Marcus) lautete die Losung – Detektivarbeit, Archäologie oder schlicht Forschung zu treiben die Aufgabe: Orte der Andersheit aufzuspüren und Geschichten zu bergen, die kaum oder selten sichtbar sind, wenn auch offensichtlich. Nicht nur eine Forschungsarbeit in Form eines Texts, sondern diese Ausstellung (re-)präsentiert die Erkenntnisse und Entdeckungen. Eine Intervention in den öffentlichen Raum, die selbst solche Interventionen zum Thema hat. Allerdings ist die Ausstellung ein unfertiges Archiv. AkteurInnen, AktivistInnen und AusstellungsbesucherInnen sind gefordert, es weiterzuführen und weiterzudenken.

            Die Offenheit der Kontexte und Recherchen finden auch in der Offenheit der entwickelten Displays der Ausstellung ihre Entsprechung: Der kunstraum lakeside wird in den öffentlichen Raum gespiegelt, das Banner «Von allen Interessen befreites Gebiet» weht inmitten des Lakeside Parks im Wind, der Super-8-Film von Arnulf Ploder, der im «heißen» Sommer 1979 in der Reitschulgasse entstand, bricht sich in einer, die Bilder fragmentierenden ­Erinnerungsmaschine, die verblasste Außenfassade des Untergeschoßes der Reitschulgasse 4 wird zu einer «mind map» der Zeiten und Zusammenhänge. «Klagenfurt brennt.»

 

Hubert Lobnig geb. 1962 in Völkermarkt, 1982–1986 Studium an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien. Arbeitet in den Bereichen Video, Zeichnung, Malerei, Fotografie, Installation. Ausstellungen, Projekte, Kunst im öffentlichen Raum. 1997 Gründung von Tigerpark. Dozent an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung, Linz. Lebt und arbeitet in Wien und Mödring (NÖ). Arbeitet an sozialen Inhalten mit politischer Relevanz: Landwirtschaft, das Verschwinden der europäischen Binnengrenzen, Migration, Architektur und die daran ablesbaren persönlichen Lebensentwürfe, Organisationsformen und Wirtschaftsweisen, Fragen der Benützung von öffentlichen Raum, um nur einige zu ­nennen. Er verwendet in ortsbezogenen, prozessorientierten Projekten oft kommu­nikative Verfahren. Zahlreiche Projekte im öffentlichen Raum wurden gemeinsam mit Iris Andraschek konzipiert und realisiert.

 

Matthias Wieser studierte Soziologie und Cultural Studies in Aachen und ­London. Danach war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der RWTH Aachen. Seit 2007 lehrt und forscht er am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der AAU Klagenfurt. Neben seinem Forschungsinteresse für zeitgenössische Sozial-, Kultur- und Medientheorien bilden Cultural Studies und Science & Technology Studies seinen Arbeitsschwerpunkt.

 

Ausstellungskonzept

Hubert Lobnig

 

Studierende

Dennis De La Gala

Charlotte Dietrich

Fabian Forer

Petra Hartinger

Ellen Hoppenbrouwers

Markus Ortner

Dania Pfeifenberger

Monika Skazedonig

Marcus Ursej