Zukunft 1

Vorwort
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Beschränken sich unsere heutigen Vorstellungen des Zukünftigen auf die nächste Generation von iPads und 3-D-Fernsehern? Während große Konzepte der Zukunft, ab­gesehen von dystopischen Szenarien (Global Warming, totale Überwachung, …), geringe politische und mediale Prominenz erheischen, stellen Auseinandersetzungen mit Utopien und radikalen gesellschaftlichen Entwürfen ein wichtiges Thema zeitgenössischer Kunst und Theorie dar. Ja, es wird die These vertreten, das Utopische habe sich aus dem Bereich des Sozialen ins Feld der Kultur verabschiedet. Unser Programm «Zukunft 1» setzt genau an diesem Punkt an. Es stellt künstlerische Praktiken und theoretische Ansätze vor, in denen Zukunft und Utopie im Spannungsfeld von politischen Realitäten und ästhetischen Propositionen behandelt werden. 
           Mit der Ausstellung «Atlas of Fantastic Science» präsentieren wir einen Ausschnitt aus dem Július Koller Visual Archive. Július Koller (1939–2007) war einer der bedeutendsten Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der (Tschecho-) Slowakei. Seit den 1960er-Jahren hat ­Koller ein einzigartiges und umfangreiches Archiv von Bildmaterialien aus diversen Printmedien angelegt, das heute von der Július Koller Society verwaltet und bearbeitet wird. Koller dokumentierte mit diesem Archiv sowohl die populäre Bildkultur der sozialistischen Gesellschaft als auch sein eigenwilliges Verhältnis als Künstler zur Funktion der Kunst in einer solchen Gesellschaft.
            Durch das Sammeln, Ordnen und Kom­mentieren von massenproduzierten Bildern aus Tageszeitungen, (populär-)wissenschaftlichen und technischen ­Magazinen betrieb Koller eine Kritik der ideologischen Manipulation durch Medien, konnte aber zugleich Elemente dieses Archivs für seine eigenen künstlerischen Arbeiten heranziehen. Charakteristisch für Kollers Praxis ist die kritische, experimentelle und ironische Arbeit an den Grenzen von Realität und Fiktion. Sein Begriff der «Kulturellen Situationen» ist dabei zentral. Ihm widmet sich ein Vortrag des slowakischen Kunsthistorikers Daniel Grúň, der zurzeit an einem Forschungsprojekt zu dem Archiv arbeitet. Kollers (Kon-)Fusionen von Alltagsrealitäten, staatlich vermittelter Fortschrittsgläubigkeit und Technikeuphorie sowie Elementen der Popkultur waren im Rahmen seiner «Universal Futurologist Operations (U.F.O.)» imstande, sowohl die Rolle der Medien als Vermittler von (erfundenen) Wirklichkeiten als auch die des Künstlers als Visionär infrage zu stellen.
            Eine andere Verbindung von kommunistischer Politik und ästhetischer Radikalität behandelt der Film «The Future will not be Capitalist» der Wiener Filmemacherin und Künstlerin Sasha Pirker. Anfang der 1970er Jahre baute der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer in Paris die Zentrale der damals noch bedeutenden Kommunistischen Partei Frankreichs. Pirkers Film handelt von den Beziehungen dieses Gebäudes und seiner futuristischen Qualitäten zur aktuellen Krise linker politischer Projekte und den Bemühungen der KPF, einen pragmatischen Umgang mit ihrem architektonischen Erbe und ihren politischen Idealen zu finden.
            Der Philosoph Boris Buden geht in einem Vortrag der Frage nach, was der «Postkommunismus» – über seine Funktion als ungenügende Beschreibungsformel ehemals sozialistischer Länder im «Übergang» hinaus – für unsere gegenwärtigen Konzepte von Zukunft und Gesellschaft bedeutet. Eine Fragestellung, die Buden entlang der provokanten Alternative «entweder eine Gesellschaft ohne Zukunft oder eine Zukunft ohne Gesellschaft» ­entwickelt.
            In der zweiten Ausstellung dieses Sommersemesters verknüpft Inge Vavra wahrnehmungstheoretische Überlegungen zum Zeitbewusstsein, zum Erinnern und Vergessen, mit Reflexionen über die Praxis der Kunstproduktion. Situationsbezogene Eingriffe in die Struktur des Kunstraums bilden den physischen Rahmen einer ­Auseinandersetzung mit medialen und persönlichen Bildern, subjektiver Bedeutungsproduktion durch Selektion und ­Ausschluss von Sinneseindrücken oder Informationen. In ihrer ästhetischen Grundlagenforschung untersucht Inge ­Vavra die Reaktion auf Bilder und ihre imaginative Verarbeitung. Dabei interessiert sie, auch mit Bezug auf die Potenziale von Kunstwerken, die Frage der Rezeption im Sinne der notwendigen Bedingungen einer produktiven Verbindung von äußeren Eindrücken und subjektiven Erfahrungen, deren Gedächtnisspuren die emotionale Reaktion auf Wahrnehmung mitbestimmen.

 

Christian Kravagna, Hedwig Saxenhuber