24. Mai, 18.30
Sasha Pirker


The future will not be Capitalist
A 2010, 35mm, 20 min.

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Ende der 1960er Jahre, als es die ­Zukunft noch gegeben hat, entwarf Oscar Niemeyer in Paris die Zentrale der ­Kommu­nistischen Partei Frankreichs. Sasha ­Pirkers Film handelt von den Be­ziehungen dieses Gebäudes und seiner futuristischen Qualitäten zur Gegenwart politischer ­Projekte, ökonomischer Reali­täten und ästhetischer Einstellungen. Der Einsatz der filmischen Mittel ist dabei so gewählt, dass sich verschiedene Möglichkeiten auftun, ein außergewöhnliches Gebäude wie dieses als physischen Raum, als Institution oder als historisches Dokument zu betrachten und somit nach seiner ästhetischen Wirkung, seiner praktischen Nutzung oder seiner politisch-symbolischen Bedeutung zu fragen.

            Wenn man sagt, Gebäude erzählen Geschichten, so mag dies zutreffen, doch «The Future will not be capitalist» interessiert sich mehr für die Blickweisen und interpretatorischen Rahmen, unter denen Architektur auf jeweils andere Art zum Sprechen gebracht wird. So wechselt ­Sasha Pirkers Film zwischen nüchternen Einblicken in das alltägliche Arbeitsleben der Beschäftigten in der Parteizentrale und Aufnahmen, die der organisch-abstrakten Formen- und konkreten Materialsprache von Niemeyers Bau Referenz erweisen. Folgen wir den mit einer Handkamera festgehaltenen Bewegungen durch das Gebäude, so nehmen wir dieselben ­Räume einmal als funktionale Umgebung von Arbeitsabläufen wahr, dann wieder – be­sonders wenn wir sie menschenleer sehen – als eindrucksvolle Beispiele moder­nis­tischen Gestaltungswillens. Pirkers Film kann und will die Faszination an der Form nicht verleugnen, bringt ihrer darstellerischen Zelebrierung allerdings einige Skepsis entgegen.

            Dass derartige Reflexionen auf Be­deutung produzierende Darstellungsmittel ­keine bloße Übung in künstlerischer Selbst­verortung sind, sondern von einer Wirklichkeit divergenter Perspektiven auf Niemeyers Parteigebäude ausgehen, wird deutlich, wenn wir den Off-Text hören, dessen französisch akzentuiertes Englisch in gleichbleibend «neutralem» Tonfall ein wichtiges Stilmittel des Films bildet. Aus der Sicht des Verwalters der Parteizentrale, dessen Kommentare und Erinnerungen gleichsam durch das Haus führen, ist hier etwa davon die Rede, dass die Verwaltung systematisch allen Anfragen eine Absage erteilt, die sich auf die Nutzung des Gebäudes als Kulisse für Werbefilme beziehen. «We do not want to market the building», lautet die klare Position der KP, deren bessere Zeiten Jahrzehnte zurück liegen. Sie drückt ein Beharren auf ­anti­kapitalistischen Einstellungen aus, das durch finanzielle Schwierigkeiten der ­Partei und die daraus resultierende Notwendigkeit, zwei Stockwerke der Zentrale zu vermieten sowie die Cafeteria zu schließen, konterkariert wird.

            «The Future will not be capitalist», ein Zitat des Verwalters der Parteizentrale, die seit Kurzem unter Denkmalschutz steht, ist ein schöner Titel, weil er die Hoffnung leben lässt. Die guten Geschichten von der Verbindung linker Politik und zukunftsweisender Architektur, von ­Niemeyer, der für seine kommunistischen Genossen in Frankreich auf ein Honorar verzichtete und dafür seinerseits der Diktatur in Brasilien entfliehen konnte, stammen aber aus ­vergangenen Zeiten, als man auch noch die sphärische Architektur des unterirdischen Kuppelsaales mit dem Bauch einer Schwan­geren vergleichen und als (politisch interpretiertes) Fruchtbarkeitssymbol verstehen konnte. «The Future …» geht es aber weniger um den naheliegenden nostalgischen Rückbezug auf eine bereits historisierte Zukunft, sondern eben um die Gegenwart der Bestrebungen, mit dem außergewöhnlichen architektonischen Erbe einen pragmatischen Umgang zu pflegen und dennoch politische Ziele zu verfolgen, die über die reine Selbsterhaltung einer geschrumpften Partei hinaus gehen, die durch ihr großartiges Hauptquartier beständig an das Idealbild ihrer selbst erinnert wird.

Sasha Pirker, geb. 1969 in Wien, Studium der Angewandten Linguistik, lebt in Wien. Seit 2010 lehrt sie als Senior Artist am Ordinariat für Video und Videoinstallation/Prof. Dorit Margreiter, Akademie der Bildenden Künste Wien. Von 1995 bis 2000 Kuratorin für zeitgenössische Architektur am Architekturzentrum Wien.

Filme: «The Face – Storefront for Art and Architecture NYC», A/USA 2011, 16mm transferred to Video, col, no sound, 09:00 min., Installation; «Cornelius Kolig. Anleitungen an die Ewigkeit oder/or Don’t Fuck with Paradise», A 2011, HDV, col., 15:00 min., dt. OV; «The Portrait of the Painter», A 2010, 03:41 min., Video-Installation; «The Future will not be Capitalist», A/F 2010, 35mm, col., 19:24 min.; «Carl Appel, Wohnhochhaus», A 2009, DV, col., 02:10 min.; «Once at Miracle Mile», A/USA 2009, DV, col., 09:10 min.; «Angelica Fuentes, The Schindler House», A/USA 2008, DV, col., 10:16 min.; «Life is beautiful», A, 2008, Super 8, col., 01:00 min.; «John Lautner, The Desert Hot Springs Motel», A/USA 2007, DV, col., 10:34 min.; «Schwarz auf Grün», A, 2006, BetaCam, col, 103:00 min., 3-teilig, Video-Installation.

Jüngste Filmfestivals und Screenings: Architekturfilmtage, Filmmuseum München/D; Diagonale, Graz/A; IFFR International Film Festival Rotterdam/NL (alle 2011); 2010 Goethe-Institut Lille/F; VIENNALE – Vienna International Film Festival/A; 67th Mostra Internazionale d’Arte Cinematografica, Filmfestspiele Venedig/I; Rencontres Internationales, Haus der ­Kulturen, Berlin/D; Architekturfilmtage, Filmmuseum München/D; Diagonale, Graz/A; Rencontres Internationales,­ ­Reina Sofia, Madrid/E (alle 2010); Rencontres Internationales, Centre Georges Pompidou, Paris/F; VIENNALE – Vienna International Film Festival/A (alle 2009).

› Außerdem zeigen wir Sasha Pirkers Film: «John Lautner», The Desert Hot Springs Motel, A/USA 2007, DV, Farbe, 10:34

Danach: Sasha Pirker im Gespräch mit Madeleine Bernstorff

Madeleine Bernstorff geboren 1956 in München. Arbeitet als Filmkuratorin, Super8-Filmerin, Rechercheurin. Lehrende an Kunsthochschulen und Universitäten u.a. in Berlin, Braunschweig und Wien. Einzel- und Gruppenprojekte in wechselnden Konstellationen.