1. Juni bis 9. Juli
Eröffnung und Künstlerinnengespräch: 31. Mai, 18.30 Uhr

Inge Vavra
LATENTES MATERIAL – undisclosed memory

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Inge Vavra schafft mit situationsgebundenen Eingriffen in den Kunstraum Lakeside eine Installation zum Thema «Zeit» und setzt damit eine Diskussion über künstlerische Praxis in Gange.

Lose Gedanken aus Anlass einer Arbeit über

… die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen (und vice versa)

Anfänglich: Die Künstlerin folgt einer Fernsehdokumentation; eine Filmszene daraus ruft die Erinnerung an ein Kindheitserlebnis wach. Die Erinnerung manifestiert sich als Bild, ähnlich einer noch existierenden Fotografie aus Kindheitstagen.

… Gestalt, Gestaltung

Gedächtnisspuren, die sich als Erregungsdisposition latent im Individuum erhalten haben, werden reaktiviert. Ästhetische und emotionale Positionen treten gegen­einander an.

… Rückkoppelung – Wechselwirkung

Die Künstlerin fotografiert die Szene vom Bildschirm ab, hält so den Augenblick der Erinnerung an. Im angehaltenen Bildlauf, im nicht vollendeten Satz haben die Negativformen Raum für die Positivform, für prosaische Reihungen genauso wie für poetische Schwingungen. Sie mischt Kontaktstellen und Sollbruchstellen des Erfahrungs- und Wissensmaterials neu.

2 + 3 = 5

5 x 3 = 15 (Quersumme 6)

2 + 3 + 5 + 5 + 3 + 15 + 6 + = 36 (1)

Das Phänomen des Zeitbewusstseins hängt eng mit der Dynamik von Bewusstseinszuständen zusammen. Die Künstlerin sucht nach Ordnungsparametern, um ­Zeiterleben und Erlebnisse zu ordnen, sie damit zu messen und zu veranschaulichen.

Sinnesstimuli (I)

«Jemand äußert den Satz Der Himmel ist blau oder zeigt eine Photographie eines blauen Himmels. Der Satz Der Himmel ist blau kann dann wahr oder falsch sein, und die Photographie kann den blauen Himmel angemessen oder unangemessen darstellen.» (2)

… Spielbein Standbein Zeitsprünge

Die Ambivalenz von Erkenntnis und Ausschließung, von Erinnern und Vergessen erweist sich als Motor für den kreativen Vorgang. Leerstellen, Unschärfen sind Intervalle, die wie eine Metapher die Möglichkeit zu assoziativer Neupositionierung der Mitteilungen geben, der Eigentätigkeit, ihnen Bedeutung zuzuschreiben, räumlich und zeitlich Platz zu lassen.

Sinnesstimuli (II)

«Was ein Satz oder eine Photographie darstellen, muss nicht existieren und kann dennoch wahr oder falsch sein bzw. angemessen oder unangemessen dargestellt werden.» (2)

… Zeit scheint eliminierbar

Wie muss also ein ästhetischer Impuls beschaffen sein, der ein Individuum veranlasst, auf mediale Präsentationen mit eigener, imaginativer Vorstellungskraft zu reagieren? Welche Wahrnehmungsformen gestatten es dem Einzelnen, sich authentisch angesprochen zu fühlen, so dass er sich mit seiner persönlichen Erfahrung und Situation einbringen kann?

Sinnesstimuli (III)

«Nimmt man an, dass das, was ein Satz oder eine Photographie darstellt, unabhängig von seiner Darstellung existiert, dann kann man versuchen, durch eine Erfahrung unabhängig von der Erfahrung der Darstellung – beispielsweise des Satzes Der Himmel ist blau und der Photographie eines blauen Himmels – herauszufinden, ob der Satz wahr oder die Photographie angemessen ist.» (2)

… des Orfeus Fehl

Die Lebendigkeit eines Kunstwerks ist so gesehen nur so lange existent, als es ihm gelingt, seiner nicht habhaft zu werden.

Sinnesstimuli (IV)

«In einem wesentlichen Punkt können sich Kunstwerke von nicht-ästhetischen Darstellungen unterscheiden: In Kunstwerken kann, anders als in nicht-ästhetischen Darstellungen, die Erfahrung der Darstellung eine Veränderung von Überzeugungen in Bezug auf die Wirklichkeit oder auf die Wahrheit oder Falschheit bzw. die Angemessenheit oder Unangemessenheit des Dargestellten bedingen.» (2)

… Ereignishorizont

Von jedem Horizont aus werden neue Horizonte sichtbar, sie sind einer grenzenlosen Landschaft vergleichbar, und was sich bewegt, ist das menschliche Auge.

 

1   Artur R. Boelderl, Schein und Schiene, in: Zeit-Raum-Schiene, Inge Vavra 1996, Katalog, Triton Verlag, Wien 1996.

2   Franz Josef Czernin, Notiz zu Photographien und Gedichten, zu Begriffen und anderen Dingen, in: Inge Vavra, Life stills, Katalog, Triton Verlag, Wien 2003.

 

Inge Vavra 1942 geboren in Augsburg, studierte 1960–65 an der Akademie der bildenden Künste Wien; Lebt und arbeitet in Krumpendorf/Wörthersee und Wien. Seit 1962 Ausstellungen, seit 1993 kuratorische Tätigkeit. Arbeitsfelder: Druckgrafik, Zeichnung, Kunst und Interventionen im öffentlichen Raum, Foto, Video.

Einzelpräsentationen und Projektrealisationen (Auswahl): Lineares Experiment, [kunstwerk] krastal (A), 2010; Kartenzeichnerin II, Galerie G., Judenburg (A), 2009; Sichtweiten, Fondazione Casa Atelier, Bedigliora (CH); Rosa Mittag, Galerie Šikoronja, Rosegg (A), 2007; life stills, Künstlerhaus Klagenfurt (A); VAVRA. graphik, rittergallery, Klagenfurt (A), 2003.

Ausstellungs- Projektbeteiligungen (Auswahl): Heimat/Domovina, Museum Moderner Kunst, Klagenfurt, (A), 2010; Double Exposition, Stara Kapetanija, Belgrad (SRB), 2009; K08 Emanzipation und Konfrontation – Kunst aus Kärnten von 1945 bis heute, Künstlerhaus Klagenfurt (A); tales about perception, Galerie MAERZ, Linz, mit Nika Špan, Andreas Heller, 2008; Heimat, Symposium Wien-Garikula, National Art Center, Tiflis (GE.), 2005; erasing, musej 25.maj, Belgrad (SRB), 2004; Alltägliches, eine Installation mit 83 Mitspielenden, Galerie Riehen, Basel (CH), 2002; K.U.L.M. continues, steirisc[:her:]bst 2K, (A), 2000.