Auf der Suche

Vorwort
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«Aber wärest du mit mir in Utopien gewesen und hättest mit eigenen Augen die dortigen Sitten und Einrichtungen gesehen wie ich, dann würdest du ohne Weiteres zugeben, nirgends anderswo ein wohl regierteres Volk gesehen zu haben außer dort«, so beschreibt Thomas Morus 1516 in dem Buch «Utopia» seine Vision eines idealen Staates. Was würden Sie auf die Frage antworten, welche Utopien für Sie heute relevant sind? Technische? Ökonomische? Private?
Sind wir im Moment in unseren Lebenswelten so selbstbezogen oder so ernüchtert, dass wir aufgehört haben, von einer besseren Gesellschaft zu träumen? Das zumindest meinen jene, die nach dem Zusammenbruch des Sozialismus und der scheinbar universellen Herrschaft der Ökonomie selbst in deren Krise noch das Ende der politischen Utopie verkündet haben – enttäuscht wohl auch angesichts des allseits herrschenden Zynismus der Politik.
Wir wollten uns damit nicht zufriedengeben, und fragen, warum der Begriff gerade im Raum der Kunst derzeit wieder Konjunktur hat. Dazu haben wir KünstlerInnen eingeladen, die in ihrer Arbeit Utopien entwerfen, untersuchen, erforschen oder um Realutopien kämpfen. «Auf der Suche» – so lautet der Überbegriff für das Wintersemester 2010/11. Darunter versammeln sich Projekte und Ideen mit sehr unterschiedlichen utopischen Potenzialen.
Anna Kindgren und Carina Gunnars aus Schweden etwa hinterfragen, warum eine Politik die einst als Utopie geforderte und im sozialen Wohlfahrtsstaat zumindest angestrebte Idee sozialer Gerechtigkeit bewusst aus den Augen verliert und sich immer mehr der Erfahrung der Ungleichheit stellt. In ihrem Vortrag analysieren sie als künstlerische Praxis Beispiele der Veränderung des Wohlfahrtssystems in Schweden und werfen mit ihren Interventionen wichtige Fragen zwischen Macht und Machtlosigkeit auf.
Die Geschichte des gemeinschaftlichen Lebens, insbesondere die der Land- und «Aussteiger»-Kommunen in den USA der 1960er-Jahre ist für Martin Beck eine wichtige Referenz für die hier gezeigte Arbeit. Sein primäres Interesse gilt architektonischen Modellen und Design, sowie der räumlichen Strukturierung dieser utopischen Gemeinschaften. Aus dem Modularsystem wurde eine spezifische Formensprache entwickelt, die in der Ausstellung seine Übersetzung findet. Der Theoretiker und Kunstkritiker Christian Höller wird gemeinsam mit Martin Beck bei der Eröffnung über die Entstehung der Arbeit und die vorangegangene Recherche sprechen.
Aus einem mehrjährigen interdisziplinären Forschungsprojekt ist die Serie «Urban Utopias» von Virginia Nimarkoh aus London hervorgegangen. In diesen Fotografien zeigt die Künstlerin die «Stadt als Ort der ökologischen Verheißung» und stellt Fragen zu deren Geschichte, Benutzung, Schönheit, der Gemeinschaft stiftenden Bemühung von Erschaffung oder Erhaltung dieser Orte, und den multikulturellen Aspekten der Nutzung von Grünflächen in der Stadt. In einem Vortrag am Eröffnungsabend geht sie dem Verhältnis der «Politik der Landschaft» in unterschiedlichen Kontexten nach.
Nach intensiven künstlerischen und theoretischen Recherchen unter anderem zu Vampirinnen & Vampirismus, Horrorfilm & Haunted Houses in Literatur und Film beschäftigt sich die Autorin, Künstlerin und Theoretikerin Judith Fischer in ihrem Vortrag mit der Thematik von Schwellenwesen; jenen transitiven Existenzen, die aufgrund ihres undefinierbaren Status, ihres Daseins in Zwischenbereichen ein Potenzial an Utopie und Visionen beinhalten und jenseits der Grenzen einer vermeintlich hierarchisch geordneten Welt oder eskapistischer Esoterik andere Spielarten von Sozietäten denkbar werden lassen.

Christian Kravagna, Hedwig Saxenhuber