20. Mai bis 2. Juli
Catrin Bolt

Thema verfehlt

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Eröffnung:
19. Mai, 18 Uhr

Thema verfehlt / Über die Definition von Räumen

Das Schloss von Versailles hat mich auf die Idee gebracht. Jeder Raum hat dort eine Funktion, ein Thema – Ankleideraum, Frühstücksraum, Empfangsraum. Der Ort und seine Gestaltung bestimmen die Handlung, die dort stattfinden soll. Analog dazu stellt sich das Inventar / die Innenausstattung des Kunstraum Lakeside auch sehr funktional dar – die Einrichtung und Geräte suggerieren eher eine theoretisch- konzeptuelle Nutzung, weniger z.B. eine ausladende, blumige Kunst. Einerseits definiert sich darüber der Ort, aber er gibt damit auch eine «richtige» Benutzung vor.
Zuerst überlegte ich, die Ausstattung des Kunstraumes entweder entgegen ihrer eigentlichen Funktion zu verwenden, sie gänzlich zu zerlegen oder sie auszutauschen. Zum Beispiel könnte ich mir gut vorstellen, die Möbel und Geräte des Kunstraums Lakeside mit jenen des Ein gangs bereichs der Cité des Arts zu tauschen. Oder, etwas näher, aber auch privater, mit jenen meiner Wohnung.
Am Sofa könnte man bequem sitzen, die Bücherauswahl würde vor allem Romane beinhalten, und man könnte auch einen Film aus meiner Sammlung in den Videorecorder legen. Zu Hause könnte ich dann über den Beamer Filme ansehen, müsste aber mit den etwas härteren Sesseln, die ein eher aufrechtes Sitzen erfordern, und der kunsttheoretischen Bibliothek zurechtkommen. Auch mit dem Zerlegen der Einrichtung des Kunstraums würde sich der Raum komplett anders darstellen, obwohl sich genau die gleichen Dinge darin befinden. Ihrer Form und Funktion beraubt, würden die Geräte und Möbel nur mehr eine bunte Materialsammlung ergeben. Zwar könne man wahrscheinlich von den Einzelteilen auf die Dinge schließen, aber der Raum wäre ein ganz anderer, vielleicht ein bisschen wie ein verlassener Baumarkt. Ohne zu wissen, wie es zu der Situation kommt, würde man jedenfalls versuchen, den Ort zu definieren und auf seine Verwendung zu schließen.
Existiert ein Raum nur dann, wenn er definiert ist? Sind die Dinge erst dann wahrnehmbar? Gibt es überhaupt undefinierte Räume? Wir befinden uns ständig in Räumen und Orten und verwenden dauernd Dinge, deren richtige und falsche Benutzung klar umrissen ist. Gehsteig, Park bank, Handtasche. Ihre Art und Verwendung wird über Gestaltung und Aussehen kommuniziert.
Ein erschreckendes Beispiel, in dem diese grundlegende Kommunikation gebrochen wird, las ich mehr oder weniger zufällig vor ein paar Wochen in einer Abhandlung.
«Durch Wände gehen» von Eyal Weizmann. 1 «Inverse Geometrie» nennt der Befehlshaber eine militärische Methode, bei der die Soldaten während Angriffen nur in den seltensten Fällen die Strassen, Gassen oder Innenhöfe zur Fortbewegung benutzen, nie Türen, Fenster oder Hausflure, um in Häuser zu kommen. Sie bewegen sich horizontal und vertikal durch die feindliche Stadt, sie sprengen sich durch Mauern, Böden und Decken. Hinter der Tür könnte eine Sprengfalle warten, neben dem Fenster der Feind. Aber abgesehen von diesen praktischen Gründen hat diese Vorgehensweise wohl eine starke psychologische Komponente – denn mit dem Ignorieren der gesamten städtischen und häuslichen Infrastruktur wird die grundlegende Existenz der Stadt nicht anerkannt, sie wird nicht als solche wahrgenommen. Mit der Benutzung der Strasse, des Stiegenaufgangs und der Tür würde kommuniziert werden, dass deren Hierarchie, die Handlungen festsetzt und bestimmt, akzeptiert, verstanden und anerkannt wird.
Beim Nachdenken über meinen Text kam mir dann natürlich eine selbstreflexive Idee. Und zwar, dessen eigenen definierten Raum, den er ja an diesem Punkt bereits aufgebaut hat – denn nun wissen ja die LeserInnen, worum es ungefähr geht – einfach zu ignorieren. D.h. die Macht, die der Text an dieser Stelle mir gegenüber ausübt, in dem ich ihn schon so weit definiert habe, revolutionär umzuwerfen.
Also hatte ich vor, meinen eigenen Text mit einem anderen Text zu überfallen. Ich finde es jetzt aber doch ganz sinnvoll, das Thema noch von anderen Seiten her zu betrachten und konsequent keinen Schluss daraus zu ziehen. Denn das erwarten Sie sich wahrscheinlich: dass ich Ihnen schön eine logische Folgerung präsentiere, mit der das Thema abgeschlossen ist, und man kann sich anderen Dingen zuwenden. Das kann ich gleich sagen, dass ich diesen Text nicht so abschließen kann, denn ich habe keine Ahnung, worauf ich hinaus will.

Orangenbäume in Kalifornien

Das ist wohl ein Aspekt bei der Definition von Räumen und Dingen: sie sind klar einzuordnen und abgrenzbar, auch absehbar. Man weiß dadurch, wer welchen Ort in welcher Aufmachung wie verwenden darf. So kann man gleich und ohne viel Federlesen sagen, was passt und was nicht. Das fiel mir auch auf, als ich das Foto für diesen Text im Schwimmbad gemacht habe. Das Fotografieren selbst war keine Ausnahme – viele Leute haben ihre Kinder fotografiert, oder auch das Erlebnisbad. Ich habe aber die Stühle mit den Handtüchern – also irgendwie Nichts – fotografiert, und das noch dazu öfters. Was ich tat, passte zwar als Handlung in diesen Kontext, nicht aber in ihrer Ausrichtung. Das verärgerte die Leute und ich bekam böse Blicke zugeworfen. Was man tut, soll also nicht nur zum Ort, an dem man sich befindet, passen, auch dessen Ziel und Grund müssen absehbar und stimmig sein.
Auch bei der Definition von Räumen und Dingen scheint es uns sehr wichtig, ihren Zweck festzulegen. Als weitgehend undefinierte Räume werden oft Naturräume angesehen. Unser Sport ist es daher, sie einem Nutzen zuzuführen. Wir legen sogar fest, was wirkliche Natur ist, und machen sie zu Nationalparks, die als Orte der Erholung und Artenerhaltung auch wieder einem Zweck gewidmet sind. Und in der Landwirtschaft wird mit Monokulturen nicht nur bestimmt, was wo wachsen darf, sondern auch, wofür es wachsen darf – wie zum Beispiel die Palmenplantagen die der Produktion von Biosprit dienen, oder die Idee von «Fordlandia»2 – eine Plantage, auf der nur Kautschuk zur Produktion von Autoreifen angepflanzt wurde.
Um festzustellen, was etwas eigentlich ist, scheint es für uns also ausschlaggebend zu sein, zu wissen, wofür es gebraucht wird. In Kalifornien bin ich einmal mit einem Freund in einer Siedlung der äußeren Bezirke von Los Angeles spaziert. Die Gegend war nicht sonderlich befahren und es gab dort sehr viele Orangenbäume. Die Bäume waren voller Früchte, die so reif waren, dass sie schon heruntergefallen sind. Niemand hat sie genommen, weil sie ja nicht zum Verzehr bestimmt sind – die zum Essen gibt es im Supermarkt.
Catrin Bolt

1 Eyal Weizmann «Walking through walls», http://eipcp.net/transversal/0507/weizman/en. Deutsche Übersetzung von Jens Kastner auf http://eipcp.net/transversal/0507/weizman/de
2 «A Tycoon in the Jungle,» working paper von Andreas Exenberger, http://www.uibk.ac.at/fakultaeten/volkswirtschaft_und_statistik/forschung/wsg/ford.html

Catrin Bolt, geboren 1979. 2000–2003 Zusammenarbeit mit Marlene Haring als Halt+Boring.
Einzelausstellungen (Auswahl): «Bilder einer Ausstellung», Kabinett im Salzburger Kunstverein, Salzburg, 2008; «Mechurchletukhutsesi», Galerie Winter, Wien, 2007; «die verlorene gute Laune», Österreichisches Kulturforum, Warschau, 2006; «mtkvari njet», National Art Center, Tbilisi, 2006; «there is still something you should know», Galerie Winter, Wien, 2005; «eingezogene Decke», Galerie der Stadt Gmünd, 2004: «aus’gstellt is», galerie.kärnten, Klagenfurt, 2004; «no show is an island», Rossek/Stahl, Frankfurt, 2004; «Vor deiner gebrochenen Nase», Galerie 5020, Salzburg, 2003.
Gruppenausstellungen (Auswahl): «Sleepwalking», kuratiert von Amer Abbas, Temporary Gallery, Köln 2009; «Fortsetzung folgt», kuratiert von Katrina Petter, Kunstraum Niederösterreich, Wien, 2009; Foto - festival Mannheim Ludwigshafen Heidelberg, Installation kuratiert von vvork, Mannheim, 2009; «Factory», Modern Art
Museum of Bat Yam, 2009; »Kunst im Park. Schloßpark Grafenegg», Kunst im Öffentlichen Raum Niederösterreich, 2009; »Kairos», Biennial of young artists of the European and the Mediterranean, organisiert von Alessandro Stillo, Messegelände Fiera, Bari 2008; «Grillparty und Show», Wohnung von Sonia Leimer, Wien 2007; «Unterspiel2», kuratiert von Seamus Kealy, Blackwood Gallery, Toronto, 2007; «Groupshow», internationales lab von Künstlern und Tänzern, Tanzquartier, Wien, 2007; «Luft holen», kuratiert von Inge Vavra, Künstlerhaus Klagenfurt, 2006; Symposion in der Villa Garikula, organisiert von der KulturSchmiede Wien 2005; «Die Ritter der Tafelrunde», kuratiert von Roland Seidel, Künstlerhauspassage, Wien 2005; «Unterspiel», kuratiert von Seamus Kealy, Contemporary Art Gallery, Vancouver, 2005.