Umordnung

Vorwort
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Das Sommersemester 2010 ist auch das zehnte Semester des Kunstraum Lakeside. Der inhaltliche Schwerpunkt dieses zehnten Programms liegt auf einer Befragung von Gewohnheiten, Erwartungshaltungen und (unausgesprochenen) Vorgaben, die sowohl mit einem konkreten Raum kultureller Produktion als auch mit bestimmten politischen Diskursen verbunden sein können. Welche Muster der Ordnung von Gedanken, Sprechweisen und Handlungen drängen sich durch das bereits Gesagte und Getane – in sanfter oder hartnäckiger Form – den aktuellen Äußerungen auf? Welche Umordnungen lassen sich vornehmen, die etwa auch Lieblingsvokabeln wie «kritisch» auf ihre einschränkenden Nebenwirkungen abklopfen? Zu den extremsten Beispielen sich verselbständigender politisch-medialer Diskurse gehört in Österreich das Thema Asyl. Wird nicht gerade durch Ereignisse wie Erdbeben oder Olympische Spiele temporäre Ablenkung möglich, beherrscht das A-Wort die Titelblätter von Zeitungen und die telemediale Politik. In krassem Gegensatz zur Zentralität eines nach Reiz-Reaktionsmustern abgehandelten «Problems» steht die seit einigen Jahren stark rückläufige Zahl von Asylwerbern bzw. die noch um einiges geringere Anerkennungsquote.
Zwei Programmpunkte zu Beginn des Semesters widmen sich solchen Missverhältnissen zwischen Realitäten und ihrer politisch-medialen Ordnung. An dem über Kärnten hinaus prominent gewordenen Beispiel der Abschiebung von einigen Flüchtlingen auf die abgelegene Saualm untersucht der Film «Representing Saualm», der auf Initiative des Kunstraum Lakeside als künstlerisch wissenschaftliche Kooperation von Zeigam Azizov und Robert Schabus mit Studierenden der Universität Klagenfurt produziert wurde, Mechanismen der Produktion von Medienwirklichkeiten und ihrer politischen Bedeutung.
Eine Podiumsdiskussion anlässlich der Filmvorführung soll auch die Potenziale der Umordnung verfestigter Bilder und Begriffe ansprechen, die einem Projekt wie diesem möglicherweise innewohnen. Ausgehend von ihren bisherigen Arbeiten zu Migration und Rassismus, die vor allem auf ihre bosnisch-mazedonische Heimat sowie Großbritannien als ihrem gegenwärtigen Aufenthaltsort bezogen waren, hat Nada Prlja für Klagenfurt eine Ausstellung erarbeitet, die auf die regionalen Besonderheiten des Kärntner bzw. österreichischen Asylwesens reagiert.
Prljas Ausstellung fragt mit teilweise provozierenden Mitteln nach den Möglichkeiten, den Kreislauf der immer wiederkehrenden Beschreibungen, Argumente und Vorurteile zu durchbrechen. Dazu ist es nötig, gewisse «Archetypen» der Angst und der Abwehr des «Fremden» herauszuarbeiten und eingeübte Sprechweisen zu untersuchen, die bestimmte Rollenzuschreibungen festigen, sowohl auf der Seite der «Einheimischen» als auch – und das ist ein Charakteristikum von Prljas Zugang – auf Seiten der MigrantInnen. Richten sich kritische Beiträge zu Migration und Rassismus oft ausschließlich an das Gewissen, die Toleranz oder das Rechtsverständnis der Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft, so adressiert Prlja eben so sehr das Selbstverständnis von MigrantInnen und deren Potenziale zur produktiven Veränderung des Sprechens über den von «uns» und «ihnen» geteilten sozialen Raum. Die Eröffnung von Prljas Ausstellung wird begleitet von einem Vortrag des Kunstkritikers und Kurators TJ Demos zu Strategien der künstlerischen Bearbeitung von Fragen der Migration und Globalisierung, denen seit einigen Jahren im Kunstfeld hohe Bedeutung zukommt.
Im zweiten Teil des Programms richtet sich der Fokus auf scheinbar neutralere, abstraktere Dimensionen sprachlicher Benennung und räumlicher Besetzung. Catrin Bolt thematisiert den Kunstraum selbst als einen Ort und Kontext der Scheidung von richtigen und falschen Handlungen, passenden und unpassenden ästhetischen Verfahren. Bolts künstlerisches Interesse gilt generell den funktionalen Definitionen von natürlichen und sozialen Räumen, den durch Gegenstände und konventionalisierte Praktiken nahe gelegten oder vorgegebenen Logiken des Tun und Lassens. Gerade in Kunsträumen ist aber das Zuwiderhandeln selbst eine der zur Konvention geronnenen Handlungsweisen. Inwiefern also ist die «kritische», «konzeptuelle», «intellektuelle» Ordnung des Kunstraums durch falsche Nutzung zu unterlaufen, einer Umordnung zu unterwerfen, ohne dass ein solches Manöver als eben «kritisch …» gelesen wird? Im Augenblick wissen wir nur, dass wir nicht wissen, was da im Mai auf uns zukommt. Sicher ist, dass der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Andreas Exenberger auf Einladung der Künstlerin in einem Vortrag die machtpolitischen Dimensionen der Benennung von Orten und Räumen im Zusammenhang kolonialistischer und kapitalistischer Politiken diskutieren wird.

Christian Kravagna, Hedwig Saxenhuber