7. Dez bis 12. Jan
Kamen Stoyanov (BG)

Bingo Topologie

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In seinem Buch Die Gesellschaft des Spektakels schreibt Guy Debord über die umfassende Bedeutung des Territoriums und des Urbanismus in der kapitalistischen Gesellschaft: „Die Gesellschaft, die ihre ganze Umgebung ummodelt, hat sich eine spezielle Technik geschaffen, um die konkrete Basis all dieser Aufgaben zu bearbeiten: Ihr Territorium selbst. Der Urbanismus ist diese Inbesitznahme der natürlichen und menschlichen Umwelt durch den Kapitalismus, der, indem er sich logisch zur absoluten Herrschaft entwickelt, jetzt das Ganze des Raumes als sein eigenes Dekor umarbeiten kann und muss.“ Das Dekor ist der Raum und alles ist ein Dekor. Bei meinem Projekt geht es um einen konkreten Ort in Sofia, nämlich einen Bingosaal und seine Umgebung. Mein Interesse gilt der großen Dynamik dieser Stadt, die sich im Prozess eines brutalen Wandels von einer sozialistischen Gesellschaft und Raumordnung zu einer kapitalistischen befindet, in der das räumliche Dekor nicht mehr ausschließlich vom Staat aufgebaut wird, sondern fast zur Gänze von dem sich schnell ausbreitenden Kapital. Eine ideologische Ordnung wird durch eine, die zu funktionieren verspricht, ersetzt. Der Kern des Projekts sind zwei Videos. Das eine zeigt ein Bild eines schief aufragenden Lautsprechers, der die in einer Unterführung, in der sich der Bingosaal befindet, gezogenen Zahlen akustisch auf die Oberfläche überträgt. Man hört die Stimme einer Frau, die monoton und pausenlos zählt: 3, 25, 49 und so weiter. Hält man sich etwas länger dort auf, wird man ab und zu Bingo! und Spielanweisungen hören. Nach einer kurzen Musikpause wieder: 9, 36, 18 … Während die statische Kamera ein Bild aufnimmt, wird der Tag zur Nacht. Das chaotische Zählen erscheint als eine Uhr, die einerseits Zeit misst, andererseits Kapital endlos umverteilt. Das zweite Video zeigt eine Performance, die vor dem Eingang desselben Bingosaals stattgefunden hat. Innerhalb einer halben Stunde schreibt ein Mann alle auf einem vor dem Eingang montierten Monitor erscheinenden bzw. gezogenen Bälle in ein Heft ab. Das Ergebnis dieser Handlung sind eben die zwei Dokumente – ein Video und ein Heft – die, medial unterschiedlich, die Faktoren Zeit und deren Abmessen, aufarbeiten. Welchen Sinn hat diese Handlung, und ist sie sinnvoller als das aufgezeichnete Geschehen? (K.S.)