7. Juni, 18 Uhr
Vorträge, Diskussion

Ökonomie der Grenze

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Kathi Hahn, Dieter Behr (Europäisches BürgerInnenforum)
Bittere Ernte. Migration, Ausbeutung und Widerstand in der industriellen Landwirtschaft Europas

Die Frischwarenabteilungen der Supermärkte locken mit roten Erdbeeren oder Paradeisern, grünen Gurken und buntem Paprika – täglich frisch geliefert. Hinter dem Hochglanz-Konsumangebot verbirgt sich eine Realität, die oft von sozialer und ökologischer Ausbeutung geprägt ist. Ein dramatisches Beispiel für die Missstände bei der intensiven Obst- und Gemüseproduktion ist die Region um Almeria im südspanischen El Ejido. Auf ca. 35.000 Hektar erstrecken sich dort Plastikgewächshäuser, in denen für jede/n EuropäerIn mehr als zehn Kilo Treibhausgemüse pro Jahr produziert wird. Diese Produktionsweise bedingt die Ausbeutung von tausenden entrechteten MigrantInnen aus Afrika, Lateinamerika und Osteuropa. Anfang Dezember 2005 wurde nach einer erfolgreichen Spendenkampagne des Europäischen BürgerInnenforums das erste Gewerkschaftslokal der SOC (Syndicato dos obrer(at)s del campo – Gewerkschaft der LandarbeiterInnen) in El Ejido eröffnet. Dieser Schritt ist ein wichtiger Anhaltspunkt für die MigrantInnen, um in Selbstorganisation gegen rassistische Diskriminierung zu kämpfen. Das Paradigma des „Wachsens oder Weichens“ bringt in ganz Europa ähnliche Strukturen hervor, ob auf den Pfirsichplantagen Südfrankreichs, in den holländischen High-Tech-Glashäusern oder auf den Spargel- und Erdbeerfeldern des österreichischen Marchfelds. Um gewinnbringend zu wirtschaften und konkurrenzfähig zu bleiben, müssen die modernen Agrarunternehmen beim Anbau von arbeitsintensiven Kulturen auf eine große Anzahl von billigen, möglichst rechtlosen Arbeitskräften zurückgreifen können.

Das Europäische BürgerInnenforum (EBF) entstand während des 1989er-Umbruchs in Osteuropa und wurde kurz nach dem Fall der Berliner Mauer gegründet. Neben den Themen Flucht, Migration und Festung Europa nehmen der ländliche Raum und die Entwicklungen in der Landwirtschaft für das EBF einen wichtigen Platz ein. Das EBF hat die Broschüre „Bittere Ernte – Die moderne Sklaverei in der industriellen Landwirtschaft Europas“ herausgegeben.
www.civic-forum.org

Manuela Bojadzˇijev
Prekäre Migration. Transformationen des Migrationsregimes und Migrationsbewegungen in Südosteuropa

Europäische Migrationspolitiken greifen weit über die territorialen Grenzen der EU hinaus. Lassen sich an den Rändern Europas die Umrisse eines neuen imperialen Migrationsregimes erkennen, wenn wir es durch die Fluchtlinien von Bürgerschaft und Prekarisierung betrachten? Wer sind die Migranten in Südosteuropa? Welche Praktiken der Bürgerrschaft werden hier erprobt? Welche Migrationsbewegungen durchkreuzen dieses Territorium und bisweilen die Politiken der EU und der Staaten?

Die Präsentation stellt die Resultate des interdisziplinären Forschungsprojekts „TRANSIT MIGRATION“ vor, das die Transformationen des europäischen Migrations- und Grenzregimes im Kontext der EU-Erweiterung und der aktuellen Praktiken und Routen der Migrationsbewegungen in Südosteuropa untersucht hat. Dabei steht besonders die Entwicklung im ehemaligen Jugoslawien im Vordergrund.

Manuela Bojadzˇijev ist Politologin und promoviert über die sozialen Kämpfe der Migration in Deutschland. Sie forschte 2003–2005 im Rahmen des Projekts „TRANSIT MIGRATION“ und ist Herausgeberin (mit Alex Demiroviç) von „Konjunkturen des Rassismus“ (2002).

Michael Zinganel et al.
Saison Opening

Neue deutsche Bundesländer: Wenn die Arbeitsplätze weniger werden, folgen Abwanderung, Entvölkerung und Schrumpfung. Ein Kreislauf, an dessen Ende entleerte Städte mit überalterter und konsumschwacher Bevölkerung stehen. In den Tiroler Alpen zeichnet sich eine Veränderung der transnationalen Migrationsströme ab, in der gerade Deutsche eine zentrale Rolle spielen: Deutsche sind nicht mehr ausschließlich als TouristInnen präsent, sondern in zunehmendem Maße auch als Saisonarbeitskräfte, die vor allem in der intensiven Wintersaison den Betrieb aufrechterhalten. Nach der Zahl der angebotenen Arbeitsplätze fungiert die alpine Tourismusindustrie in Österreich mittlerweile als größter privater Arbeitgeber für BürgerInnen aus den neuen Bundesländern. Das Projekt basiert auf Quellenrecherche in statistischen Datenbanken, vor allem aber auf Interviews mit Arbeitsuchenden, ArbeitsvermittlerInnen und ArbeitgeberInnen in den neuen Bundesländern und in Tirol. Die AutorInnen entwickeln eine Vision, die auf den von Tirol in die Heimat mitgebrachten Skills und Erfahrungen aufbaut. Am Beispiel eines kleinen Lokals, das eine ehemalige Saisonarbeiterin in ihrer Heimat eröffnet, wird gezeigt, wie sich der Kultur-, Kapital- und Knowhow-Transfer und die Nutzung der transnationalen Netzwerke touristischer Subkulturen produktiv mit lokalen Initiativen verbinden können und aus den heterogenen touristischen Erfahrungen unerwartete Chancen zur Selbstermächtigung der Akteure entstehen.

Michael Zinganel ist Kulturwissenschaftler, Architekturtheoretiker, Künstler und Kurator.