8. Juni bis 18. August
Ausstellung

Ökonomie der Grenze

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Die Straße von Gibraltar verkörpert als Grenze zwischen dem durch die Jahrhunderte des Kolonialismus systematisch unterentwickelten Süden und dem dadurch reich gewordenen Norden (Westen) eine der heute signifikantesten geopolitischen Zonen. Kaum sonst lässt sich die räumliche Verdichtung von wirtschaftlichen Differenzen und den politisch-historischen Bedingungen derart plastisch nachvollziehen wie an der Meerenge zwischen Spanien und Marokko, die bereits tausende auswanderungswillige AfrikanerInnen verschlungen hat, wogegen tausende, meist „illegale“ und entrechtete ImmigrantInnen auf den Obst- und Gemüseplantagen des südlichen Spanien die billige Lebensmittelversorgung des Nordens garantieren, während weitere in informellen Lagern in Nordafrika auf Gelegenheit zur Überwindung dieser Grenze warten. Zur Signifikanz dieser Zone gehört es, dass hier die politisch-polizeilichen Anstrengungen zum Ausbau der Festung Europa auf ein technologisches Höchstniveau getrieben werden, was die zahllosen Toten im Mittelmeer zu Folge hat, und zugleich die europäische Lebensmittelindustrie scheinbar nur auf Basis jener „illegalen“, aber unausgesprochen „notwendigen“ Arbeitsmigration und deren ökonomischer Ausnutzung aufrecht zu erhalten ist. Ausgehend von dieser paradigmatischen Grenzökonomie veranstaltet der Kunstraum Lakeside einen Vortrags- und Diskussionsabend, der den Phänomenen und Widersprüchen von Grenzökonomien in Europa nachspürt. In Kooperation mit dem Europäischen BürgerInnenforum (Lobnik bei Eisenkappel), das sich für die Rechte und Arbeitsbedingungen von MigrantInnen in Andalusien stark engagiert, sollen zumindest Gegebenheiten aktueller Grenzregimes und ihrer polit-ökonomischen Grundlagen thematisiert und in einer erweiterten Perspektive erörtert werden, die etwa auch Regionen in Österreich mit einschließt.

Mit der Ausstellung werden die Möglichkeiten der bildhaften Darstellung und Kritik von Arbeits- und Wirtschaftsverhältnissen in Grenzregionen befragt, die sowohl von Strukturen der Ausbeutung geprägt als auch von Hoffnungen auf Lebensveränderung und Strategien der Selbstermächtigung getragen sind.

Gülsün Karamustafa
Unawarded Performances
2005 | Video | 25 min

Eröffnung: 7. Juni, 20.30 Uhr

Vor 1990 wussten nicht viele in Istanbul von der Existenz der Gagauz, einer orthodoxen christlichen Gruppe im südlichen Moldawien, die türkischer Herkunft ist, ein reines Balkan-Türkisch spricht und ihre Ursprünge bei den alten Stämmen der Steppen Zentralasiens hat. Während ihrer Geschichte unter der Herrschaft der Seljukken, Osmanen, Bulgaren, Rumänen und Russen waren sie stets gezwungen, sich gegen Druck und Verdrängung auf sprachlicher, religiöser und kultureller Ebene zu behaupten.

Mit den tief greifenden politischen Veränderungen im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wurden die Gagauz wiederum in eine Migrationsbewegung gedrängt, und die Beherrschung der türkischen Sprache wurde zum Privileg der Frauen, die in der Türkei illegale Jobs als Haushälterinnen fanden. Anfang 2005 hat fast jede Familie in moldawischen Städten wie Komrat, Cadyr Lunga oder Vulkanesthy ein Familienmitglied, das unter illegalen Bedingungen in Istanbul arbeitet.

Gülsün Karamustafa, geboren 1946, lebt und arbeitet in Istanbul. Ausstellungen (Auswahl): Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris, Espace Immanence (2005); Bienal de Arte Contemporaneo de Sevilla (2004); La Bienal de La Habana (2003), La Bienale di Venezia (2003); When Latitudes Become Forms, Walker Art Center, Minnesota 2003).

Ursula Biemann & Angela Sanders
Europlex
2003 | Digital Video | 20 min

Eröffnung: 7. Juni, 20.30 Uhr

Der Film „Europlex“ dreht sich um die spanisch-marokkanische Grenze, die alles andere als linear ist. Gemeint ist vielmehr eine ausgedehnte Region, die den Durchgangsverkehr der Meerenge von Gibraltar, die beiden spanischen Enklaven auf marokkanischer Seite und die plastiküberdeckten, von afrikanischen Arbeitskräften bewirtschafteten Gemüseplantagen in Andalusien umfasst. Das in Zusammenarbeit mit der visuellen Ethnologin Angela Sanders entstandene Video untersucht in einer Reihe von Grenzaufzeichnungen, „Border Logs“, die kreisläufigen Bewegungen von GrenzgängerInnen rund um den Checkpoint zwischen der spanischen Enklave Ceuta und dem umliegenden marokkanischen Territorium. Der Begriff des Loggens verknüpft das Log8. buch von Ethnografen und Reisenden mit der Praxis des Videoschneidens, in der das Loggen, d.h. die zeitlich-inhaltliche Eintragung des gedrehten Materials, als unerlässliche Vorbereitung für die Montage gilt. Das Video macht den Beobachtungsprozess sichtbar, indem es die Arbeitsschritte nachvollzieht und beschreibt, was es eben tut, nämlich den räumlich-chronologischen Vorgang
aufzeichnen.

Das Video folgt u.a. den Hausmädchen auf ihrem täglichen Arbeitsweg von der marokkanischen Stadt Tétuan in die Enklave. Da die aneinander grenzenden Territorien in unterschiedlichen Zeitzonen mit zwei Stunden Zeitdifferenz liegen, werden die Hausangestellten zu permanenten Zeitreisenden innerhalb der Grenzökonomie.

Ursula Biemann unterrichtet an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich und am CCC-Programm der esba in Genf. Ihre künstlerische und kuratorische Praxis bezieht sich auf Geschlechterfragen und eine postkoloniale Kritik der Repräsentation in Medien, Migration, transnationalen Zonen und Grenzen.

Angela Sanders ist visuelle Ethnologin und Videomacherin. Sie untersuchte Lebens- und Arbeitsbedingungen marokkanischer Frauen in Andalusien bzw. Ceuta/Melilla und hat zahlreiche Artikel zu den Themen Gender, Identität, Film und Medien verfasst.

Michael Zinganel/Hans-H. Albers/
Marusˇa Sagadin/Michael Hieslmair
Saison Opening
2005 | Installation | diverse Medien

Eröffnung: 7. Juni, 20.30 Uhr

Nachdem ab 1999/2000 private deutsche Arbeitsvermittler in Kooperation mit dem Arbeitsmarktservice Österreichs in den neuen Bundesländern Deutschlands offensiv Saisonarbeitskräfte für die Wintersaison anzuwerben begannen, drängen immer mehr Deutsche in die Alpen – um zu arbeiten, wo andere Urlaub machen. Dem Vorwurf, dass durch das Anwerben vor allem junger, gut ausgebildeter Arbeitskräfte mittelfristig der ökonomische Niedergang in deren Heimatregionen beschleunigt werden könnte, wird von Jobagenturen mit dem Hinweis auf die einzigartige Möglichkeiten für persönliches Fortkommen und berufliche Erfahrung entgegnet, die die jungen Leute sich aneignen können, und dem eventuellen Nutzen, den das bringt, wenn sie nach Hause kommen. Für die Mehrheit der Betroffenen jedoch ist Saisonarbeit, die einzige Möglichkeit Geld zu verdienen um für die kurze Zeitspanne, die sie überhaupt zu Hause sein können, durch zukommen.

Für dieses Projekt werden eine fiktive schrumpfende Stadt im Osten Deutschlands (eine Quellregion für sowohl Touristen als auch Saisonarbeitskräfte) und eine real boomenden Tourismushochburg in den Bergen Tirols assoziativ als sich wechselseitig füllende und entleerende kommunizierende Gefäße gegenüber gestellt.