9. März, 19 Uhr
Klaus Ronneberger

Der neue Geist des Kapitalismus

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Vortrag

In den 1970er Jahren geriet das fordistische Wachstumsmodell in eine doppelte Krise: Einerseits erschöpften sich die Produktivitätsreserven der tayloristischen Arbeitsorganisation, andererseits versagen mit der wachsenden Internationalisierung der Ökonomie die Instrumentarien des keynesianischen Wohlfahrtsstaates.

Die damalige Krise besaß nicht nur eine ökonomische Dimension, auch die veränderten Alltagspraktiken der Kollektive und Individuen trugen entscheidend dazu bei, das damalige Vergesellschaftungsmodell zu erschüttern. Der Ausbau sozialer Sicherungen, das steigende Lohnniveau und die Förderung des Bildungssystems hatten in den sechziger Jahren zu einer Öffnung des sozialen Raums und zu einer Freisetzung von Subjektivität geführt. Als Ausdruck dieser veränderten Einstellungen kam es zu einer Reihe von sozialen Bewegungen, die die autoritären und hierarchischen Strukturen attackierten und für ihr Leben „Autonomie“ und Selbstverwirklichung einforderten.

In gewisser Weise trug diese „Künstlerkritik“ direkt oder indirekt zur Überarbeitung und Modernisierung des Kapitalismus bei. So begannen Mitte der siebziger Jahre die Unternehmer die Arbeitsbedingungen zu verändern – die bislang durch Entfremdung, Unterforderung und verkrustete Hierarchien gekennzeichnet waren – indem sie auf Anreicherung der Arbeitsaufgaben, Teamarbeit, individuelle Leistungsanreize und partizipatives Management setzten.

Der „neue Geist des Kapitalismus“ zeichnet sich vor allem durch eine Generalisierung projektförmigen Managements aus. Galt früher der passive, dem durchgeplanten Arbeitsprozess unterworfene Arbeiter als Idealtypus, so sind heute Tugenden wie Selbständigkeit und Eigeninitiative gefragt. Allgemein gesagt: Nachdem zu Beginn des letzten Jahrhunderts an die Stelle des autoritär-paternalistischen Regimes Formen einer „sachlichen Herrschaft“ getreten waren, scheint sich gegenwärtig mit der Aufforderung zur „kontrollierten Autonomie“ ein neues soziales Regulativ durchzusetzen.

Klaus Ronneberger war langjähriger Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main. Er ist heute freier Publizist.