4. Mai bis 6. Juli
Dorit Margreiter

zentrum

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Verschwinden – Einmal Digital und Zurück

Zwei mit der Hand gehaltene Scheinwerfer schwenken in der Dunkelheit ihre Lichtkegel auf einen Schriftzug, der über dem Portal eines einstöckigen modernistischen Gebäudes in Leipzig angebracht ist. Die fast einen Meter hohen Lettern fügen sich blockartig durch die Abrundungen und Dichte ihrer minimalen Zwischenräume zu einem Objekt aus zwölf Teilen, dem Schriftzug „brühlzentrum“ zusammen. Im Grauton der Mise en scène blitzen die Buchstaben einzeln auf, ähnlich dem flackernden Leuchten von Glühwürmchen. Nicht die Leuchtkraft der Neonröhren, sondern die gebündelten Lichtreflexe einiger hundert selbstreflektierender Folien, die sich um die im Inneren bereits zu weißem Pulver zerfallene Straffur aus Leuchtstäben wickeln, machen ein letztes Aufflackern des Neonschriftzugs möglich. Die 16mm-Filmszene ist Teil von Dorit Margreiters Installation „zentrum“, die sich darüber hinaus aus einem Video, drei Postern, Buchstabenobjekten und einer Publikation zusammen setzt. Doch erst die zweite Aufnahme, die als Video auf einem Kontrollmonitor gezeigt wird, enträtselt die Vorgänge des nächtlichen Ereignisses.
In Farbe aufgenommen wird der Verlauf der Produktion und der Prozess des Filmspektakels bis ins Detail festgehalten. Dem Schema des Dokumentarischen entsprechend, schwenkt die Kamera in einigen Metern Höhe abwechselnd vom gelben Schriftzug aus über die anliegenden Wohnblocks, das bisschen Grün zwischen ihnen und der Straße, um sich schließlich wieder auf die Arbeiten der Konstrukteure und ihre feinteilige Restaurierung der einzelnen Lettern zu konzentrieren. Am Anfang wird, ähnlich einem dokumentarischen Lehrfilm, die Handlung am Ort des Geschehens unterbrochen: In einer kurzen Sequenz sehen wir zwei Hände, welche die Formen der Buchstaben aus Papier nachschneiden, gefolgt von einer Maschine, die den Zuschnitt der Folie ausführt.

„zentrum“ ist ein fiktives und doch reales Zeitdokument mit mehreren Erzählschienen, das anhand einer narrativ linearen Kette medialer Übersetzungen die Entwicklungsgeschichte von einem dem Verfall ausgesetzten Neonschriftzug an einer Leipziger Fassade zu einer neuen Typographie erzählt. Die Geschichte seiner funktionalen und phänomenologischen Existenz splittert sich zwischen der Vielfalt seiner Abbildungsmedien und Funktionen auf. Die Beziehung zwischen dem Realen und dem Fiktiven, dem Analogen und dem Digitalen, wird in der parallelen und verschränkten Inszenierung des „Brühlzentrums“ als Text und Bild im Spannungsfeld der jeweiligen medialen Differenzen und komplementären Wechselwirkungen sichtbar. „zentrum“ ist die digitale Reproduktion eines indexikalischen Entstehungsprozesses, der sich in seinen verschiedenen Medialitäten zu einer installativen Inszenierung zusammenschließt. Die Dokumentation der Produktion unterscheidet sich von der Dokumentation der Inszenierung durch ihre verschiedenen Temperaturen: Wir sehen die Arbeit am Schriftzug im Tageslicht als distanziertes, gestochen scharfes Video, in Farbe aufgenommen, während die Inszenierung in der Nacht grobkörnig, schwarzweiss und in ihren Bewegungen abtastend wirkt. Der Kontrast zwischen der digitalen Bildqualität und der Ästhetik des Cinematographischen zeichnet sich als Spiegelung in der Gegenüberstellung des handwerklichen Prozesses der Restaurierung mit der industriellen modernistischen Ästhetik des Schriftzuges ein. Beide Aufnahmen wurden mit einer digitalen Videokamera aufgenommen, die in ihrer Produktpalette die Ästhetik des ihr vorhergehenden analogen Mediums anbietet und so die Dialektik des Analogen und des Digitalen ihren Handlungsmöglichkeiten hinzufügt. Mittels der digitalen Übertragung wird die für den Film immanente Eigenschaft, jede Geste in Form einer Lichtspur zu reproduzieren, mit dem Verhältnis des Gesprochenen zur Schrift, zur Typographie vergleichbar. Das Verhältnis zwischen dem medialen und mentalen Gedächtnis wird zu einem Kreislauf, der seine Energie aus der Spannung der Pole des Analogen und Digitalen zieht.

In der Gegenüberstellung der verschiedenen, dem „brühlzentrum“ innewohnenden medialen Vermittlungsformen wird die kulturelle Temporalität seines Designs lesbar. Dabei findet nicht die Entlarvung des Dokumentarischen, in welcher die Materialität und Medialität als Gradmesser des Realismus dient, sondern die im Verlauf der Zeit hervortretende Eigenschaft des Schriftbildes als „Dokument seiner Zeit“ statt. Die originalen Lettern bleiben als Ruinen der Moderne weiter Requisit ihrer Umgebung, während der symbolische Wert ihrer Vergangenheit und ihres Verschwindens in der Ausstellung in seiner Reproduzierbarkeit und Einmaligkeit manifestiert wird. Von der Straße zum Film, zum Museum wird das Verschwinden Teil eines für seine Art raren Schicksals, nämlich, in seiner Bildhaftigkeit als Teil eines kulturellen Bildgedächtnisses erhalten zu bleiben.
(Barbara Clausen)

Dorit Margreiter, geb. 1967, lebt in Wien und Los Angeles. Einzelausstellungen: Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig (2006); Galerie Krobath Wimmer, Wien (2006); Moravian Gallery, Brno (2006); Galerie Stampa, Basel (2006); Mumok, Wien (2005); Galerie im Taxispalais, Innsbruck (2001); Grazer Kunstverein (1999). Beteiligungen: „Exil des Imaginären“, Generali Foundation, Wien (2007); „Dark Places“, Santa Monica Museum of Art (2006); Liverpool Biennale (2004); „Routes“, Grazer Kunstverein (2002); „Shopping“, Generali Foundation, Wien (2001); „Du bist die Welt“, Künstlerhaus Wien (2001).

Julia Schäfer ist Kuratorin und Kunstvermittlerin an der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig. Sie ist Herausgeberin des Buches Dorit Margreiter, „Analog“, Leipzig/Frankfurt 2006.