19. März bis 3. Juli
Senam Okudzeto

Capitalism and Schizophrenia

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Bestandteile
1. Buchumschläge in Vitrine
2. Fax-Briefe und Verträge des Betrügers
3. Poster mit Tagebuchseiten des Betrügers
4. Poster mit betrügerischen 419-e-mails
5. Kleine Textzeichnungen in Tinte, Deleuze interpretierend

Eröffnung: 18. März, 18.30 Uhr

Einleitung
Die Stadt Fribourg ist eine kleine, malerische Universitätsstadt nördlich von Genf. Ihre langsam schrumpfende Wirtschaft bedurfte schon seit einigen Jahren einer Auffrischung. Um diesem Problem zu begegnen, lud die Stadtverwaltung ausgewählte Geschäftsleute ein, Bürger der Stadt zu werden, zusätzliche Anreize wurden durch Bankkredite und Steuervergünstigungen geschaffen. Einer dieser Männer war gezwungen, in großer Eile die Stadt zu verlassen, nachdem ihm von den Behörden betrügerische Geschäfte vorgeworfen wurden. «Capitalism and Schizophrenia» ist eine künstlerische Arbeit, die von der «Bibliothek» ausgeht, – einer am Boden liegenden Vitrine, die Fragmente eines herrenlosen Archivs enthält; die Buchumschläge von ungefähr 200 Business- Selbsthilfebüchern. Ergänzend wird das Publikum mit gefälschten Geschäftsverträgen konfrontiert, Tagebucheinträgen und Korrespondenzen, die von dem wütenden Vermieter eines Schweizer Betrügers, der in Fribourg als Gast der Stadtverwaltung gewohnt hatte, erworben wurden.
In seiner verlassenen Wohnung fanden sich Dokumente und Briefe mit den Details seiner Aktivitäten. Er ist seit 2002 verschwunden, als er gezwungen war, sich der Verhaftung durch INTERPOL zu entziehen.

Geld als Phantomobjekt
Diese künstlerische Arbeit ist eine Diskussion von Dingen und Waren, die nicht existieren, in Form von veruntreuten Krediten der Weltbank, phantomhaften Entwicklungsprojekten und der angenommenen Abwesenheit sozialer und moralischer Werte in Verbindung mit der Generierung von Tauschwert. Das Geld selbst ist, wie Michael Taussig vorschlägt, eine Art «Phantomobjekt.»(1) Aber was und wo sind die materiellen Erinnerungen/Speicher dieser fehlenden Objekte? Wie können wir einem System von globalem Maßstab nachspüren, das auf der abstrakten Glaubensstruktur von Aktien und Beteiligungen basiert, auf Geschäften und Verträgen, in denen Vertrauen und der Anschein von Macht selbst die stärksten Waren sind?
Mein work-in-progress «Capitalism and Schizophrenia» versucht sich dieser Problematik über das oben beschriebene Archiv eines Schweizer Betrügers zu nähern, dessen zahlreiche Operationsfelder sich unter anderem auf Ghana erstreckten. Die Titel der Bücher sind absurd und oft lustig, in ihrer Masse gesehen bekommen sie aber etwas Beunruhigendes. Betrachtet man das Archiv neben den neurotischen Kritzeleien in den Aufzeichnungen des Mannes, auf bunten Post-it-Notizen angespannt über Termine geklebt, so wird es zu einem Zeichen der mentalen Instabilität unseres Subjekts und ein sicherer Hinweis darauf, dass es eine große Leere im finanziellen Ehrgeiz gibt.
Die Fragilität der globalen Märkte, repräsentiert durch das Archiv, wird mit einer anderen Arbeit kontrastiert, die auf einem gespenstischen elektronischen Archiv von betrügerischen «419»(2)-e-mails beruht. Es handelt sich hierbei um e-mails, die angeblich von korrupten afrikanischen Politikern und Funktionären an Leute im Westen versandt wurden mit der Einladung, ihnen beim Weißwaschen gestohlenen Geldes behilflich zu sein. Die New York Times hat kürzlich berichtet, dass west-afrikanische 419-e-mails amerikanische Bürger um mehr als 100 Millionen Dollar pro Jahr betrügen. Was ist der Subtext eines Szenarios, in dem das offene Eingeständnis afrikanischer Unredlichkeit und Korruption mit Erfolg als legitime Einladung zur Geschäftemacherei präsentiert wird? Der Erfolg dieser Briefe suggeriert eine umgekehrte koloniale Eroberung, indem er ein Bewusstsein von Geschäft und Handel demonstriert, das eine westliche kapitalistische Kultur der wirtschaftlichen Spekulation für seine Zwecke instrumentalisiert.
Wenn diese Arbeit das Archiv westlicher (Schweizer) Unredlichkeit, die sich aus hauptsächlich amerikanischen Business-Ratgebern und ihrer anderen Form von Unwahrheit (der des schnellen Erfolgs) konstituiert, dem Archiv der afrikanischen Unehrlichkeit gegenüber stellt, die im Bezug zu den historischen Fakten durchaus den Anschein einer Art von Wahrheit erweckt, so demonstriert sie am Ende die Krankheit des globalen Finanzsystems und vielleicht kommentiert sie auch die Behauptung von Gilles Deleuze, wonach in einem globalen kapitalistischen System der Schizophrene der wahre Antiheld wäre. (S. O.)

(1) Michael Taussig, The Devil and Com modity Fetishism in South America, S. 4, Chapel Hill Press (1994)
(2) Benannt nach dem nigerianischen Gesetz zu dieser Art von Fälschung.

Senam Okudzeto (UK/USA/Ghana),
geboren 1972 in Chicago, Ill, USA, lebt und arbeitet in Basel, Accra, London, New York. Sie ist Gründerin und Leiterin der NGO «Art in Social Structures», Mitglied des KünstlerInnenkollektivs «Tropical Goth» und im Editorial Board der Zeitschrift «Art Journal.» Sie schließt derzeit mit der Arbeit «Ghana Must Go, Modernity, Memory and Material Culture in Post-Independence West Africa» ihre Dissertation in Cultural Studies am London Consortium, London University, ab. Sie hatte Gastprofessuren u.a. am New York University (NYU) Study Abroad Campus in Ghana, der NYU Steinberg School, New York und zahlreiche Lehraufträge an Universitäten in Basel, London und New York.
Einzelausstellungen (Auswahl): International project, PS1 MOMA, NYC (2007); Radcliffe Institute for Advanced Study, Harvard, Cambridge, MA (2004); Burrough Market, London (2003); Dana Center, Loyola University, New Orleans (2000); The Fridge, London (1999); The Brickhouse, London (1998)
Gruppenausstellungen (Auswahl): «Nostalgie. L’istante e la durata del tempo», Museo d’Arte Contemporanea di Villa Croce, Genua (2008); «eFEMera: the art of feminist activism», Binghampton University Museum, NY (2007); «The Color Line», Jack Shainman Gallery, New York (2007); «Cape 07», Cape Town (2007); «Dak’art», Biennale Senegal (2006); «Women with Guns», National Gallery, New Orleans (2006); «The Whole World is Rotten», Contemporary Art Center, Cincinnati, USA (2006); «Africa Remix», Centre Pompidou, Paris (2005); «Fela Kuti: Black President», Barbican Center, London (2004)